Der Beginn des Kinojahrs fällt gehörig ins Wasser. Und das nicht wegen des Regens. Das Programm ist ausgedünnt und die Hollywoodblockbuster floppen gleich mehrfach. Das wirkt sich deutlich auf die Kinoeintritte aus: Sie liegen bis Ende Mai über zwölf Prozent unter denen von vergangenem Jahr, wie neue Zahlen des Branchenverbands Pro Cinema zeigen. Nach dem zwischenzeitlichen Hoch im 2023 zeichnet sich wieder ein enttäuschendes Kinojahr ab.
«Wir wussten, dass 2024 für uns ein schwieriges Jahr werden würde», sagt Edna Epelbaum (51), Kinobetreiberin und Präsidentin des Schweizerischen Kino-Verbands (SKV). Denn die langen Hollywoodstreiks im letzten Jahr drückten auf das Filmangebot. Zudem scheitern ausgerechnet die dicken Fische aus Hollywood an den Kinokassen, die eigentlich die Massen ins Kino locken sollten. So etwa die Actionkomödie «The Fall Guy» oder «Furiosa», der Spektakelfilm aus dem Mad-Max-Universum. «Das kann man nicht schönreden», sagt Epelbaum.
Die amerikanische Filmbranche steckt in der Krise
Die beiden Flops beschränken sich nicht nur auf die Schweiz. Sie sind Ausdruck der Krise, in der sich die amerikanische Filmindustrie nach Corona befindet. Pandemiemassnahmen und Inflation sorgten für Rekordbudgets. Gleichzeitig brach alleine in Nordamerika der Ticketverkauf um beinahe ein Viertel ein. Das Misstrauen in den Kinomarkt zeigt sich auch in den Veröffentlichungsstrategien: Oftmals landen die Filme bereits nach wenigen Wochen im digitalen Marktplatz.
Epelbaum bleibt dennoch positiv: Das Kinoangebot in der Schweiz sei genug vielfältig, um nicht nur auf amerikanische Produktionen angewiesen zu sein. «Wenn es so wäre, fielen die Streiks noch viel mehr ins Gewicht.»
Das Loch könnten aber auch europäische Produktionen nicht vollumfänglich stopfen. Obwohl beispielsweise gerade in der Romandie der Film «Un p’tit truc en plus» so erfolgreich laufe, wie es für eine französische Komödie seit «Intouchables» nicht mehr der Fall war. Und auch die italienische Tragikomödie «C’è ancora domani», die in ihrem Heimatland mehr Eintritte als «Barbie» verbuchte, komme sehr gut an.
Nächstes Jahr soll es wieder besser werden
Spätestens im Herbst sowie 2025 soll es auch in Bezug auf die amerikanischen Produktionen wieder aufwärtsgehen, sagt Epelbaum. Auch wenn nicht immer dies Erfolg habe, was man eigentlich erwarte. «Bei Barbie war ich etwa selbst früh überzeugt, dass der Film ein Hit wird. Von Kolleginnen und Kollegen wurde ich damals noch belächelt.»
Ein Sommerphänomen, wie es letztes Jahr «Barbie» und «Oppenheimer» waren, zeichnet sich dieses Jahr noch nicht ab. Ob Hollywoodfilme wie etwa «Despicable Me 4», «Deadpool & Wolverine» oder die Fortsetzung des Megaerfolgs «Joker» einschlagen werden, muss sich noch zeigen. Dafür gibt es immer wieder Überraschungserfolge. Etwa die Schweizer Komödie «Bon Schuur Ticino», die so viele Zuschauerinnen und Zuschauer ins Kino lockte, wie schon lange kein Schweizer Film mehr. Beinahe so viele wie «Dune 2», der bisher erfolgreichste Blockbuster des Jahres.
Einheimische Produktionen kommen an. Das sagt auch Pro-Cinema-Geschäftsführerin Ivette Djonova (35). «Zuschauerinnen und Zuschauer mögen es, wenn Filme in einem ihnen bekannten Umfeld spielen.» Und holen so auch Leute ins Kino, die es sonst gar nicht besuchen.
Ende 2023 zeigte sich die Branche noch zuversichtlich: Die Eintritte nahmen nach schwierigen Corona-Jahren wieder deutlich zu. Erstmals seit 2019 wurde die Grenze von zehn Millionen Eintritten wieder durchbrochen. «Das Kino pulsiert», frohlockte Pro Cinema.
Die Pandemie hatte im Markt zu tiefen Einschnitten geführt. Die Umsätze brachen ein, zahlreiche kleinere Betriebe wurden an den Rand ihrer Existenz gedrängt. Ausgeblutet ist die Branche jedoch nicht. Denn bereits vor Corona verschob sich die Kinolandschaft hin zu grösseren Multiplex-Betrieben. Die Entwicklung sei in der Schweiz jedoch viel später eingetroffen als in den umliegenden Ländern, sagt Epelbaum. «Hier steht weiterhin neben jeder Kirche ein Kino.»
Dennoch liege der Trend laut Pro Cinema auch im Interesse der Besucherinnen und Besucher. «Wir stellen fest, dass sie das spezielle Erlebnis im Kinosaal schätzen», sagt Djonova. Sonderformate wie etwa IMAX oder 4DX erfreuten sich einer grossen Beliebtheit.
Das dünne Programm sei also nicht mit einem reduzierten Bedürfnis der Kinogänger gleichzusetzen. Vor allem bei animierten Filmen und solchen für das jüngere Publikum sei das Interesse gross. Dadurch wäre das aktuelle Hudelwetter eigentlich durchaus ein Vorteil, um etwa die Familien für «Kung Fu Panda 4» ins Kino zu locken. «Doch der Fächer an Freizeitangeboten hat sich in den letzten Jahren generell immer mehr geöffnet», sagt Djonova. Kulturaffinen stünden Konzerte, Kunst, Theater oder auch Gaming zur Auswahl. Dazu kommen dieses Jahr die Hockey-WM und die Fussball-EM. Die Kinos müssten dem mittlerweile mit Festivals, Lunch-Kinos, Frauen- oder Männerabenden entgegentreten.
Mit Nostalgie gegen die Filmflaute
Auch Epelbaum sagt, dass heute mehr getan werden müsse, um das Kino als Begegnungsort zu festigen. «In den letzten 100 Jahren drehte das Rad immer weiter. Die Möglichkeiten wurden mit der Digitalisierung nochmals grösser», sagt sie. Da müsse dem Publikum ein gutes Programm geboten werden. «Schlussendlich ist das Kino aber weiterhin vorrangig ein Kulturort.»
Seit Corona setzen immer mehr Kinos auf Nostalgie und bringen alte Publikumslieblinge wieder auf die Leinwand. Beispielsweise durch das Projekt «The Ones We Love». Seit zwei Jahren können Filmaffine auf einer Onlineplattform abstimmen, welche Streifen wieder in die Kinosäle zurückkehren sollen. Dahinter stecken nicht etwa Verleger oder Studios, sondern ein privates Projekt. «Ich wollte damit meine Liebe zum Film und zur Technologie vereinen», sagt Initiant Stephan Talmon-Gros (48). «Hohe Erwartungen hatte ich aber nicht.»
Talmon-Gros schent jedoch mit dem Ansatz, das Streamingerlebnis auf die grosse Leinwand zu bringen, den Nerv zu treffen: Mittlerweile arbeitet er bereits mit 19 Kinos in der Deutschschweiz zusammen. «Solche kleineren Projekte sind derzeit sehr beliebt», sagt Djonova. «Sie stellen jedoch nur einen kleinen Teilaspekt der Branche dar.»
Nur der Werbemarkt spürt die Krise nicht
Auch Edna Epelbaums Kinos sind bei «The Ones We Love» dabei. «Der Kinofilm ist das Herz, das nur schlagen kann, wenn seine Muskeln genug stark sind. ‹The Ones We Love› ist einer davon. Das Projekt funktioniert gut, darf aber auch nicht zu viel Platz einnehmen.» Solche Angebote könnten nur existieren, wenn nebendran auch qualitativ gute Publikumsfilme laufen würden.
Das sieht auch Talmon-Gros so. An den für die Kinos eher unattraktiven Tagen, nämlich Sonntag bis Donnerstag, könnten aber durch «The Ones We Love» deutlich mehr Leute ins Kino geholt werden als mit dem üblichen Programm.
Während das Kino leidet, spürt ausgerechnet eine andere gebeutelte Branche Aufwind. Der Markt für Kinowerbung wächst. «Wir erwarten entgegen dem Trend ein gutes Jahr», sagt Christof Kaufmann (55), CEO von Weischer Cinema Schweiz. Das Unternehmen ist beim Grossteil der Schweizer Kinobetreiber für die Vermarktung von Kinowerbung zuständig.
«Unser Geschäft läuft langfristiger als das der Kinos», sagt Kaufmann. Verträge würden bereits im Herbst abgeschlossen. Dadurch bleibe die Werbung von Einbrüchen wie jetzt verschont. Umgekehrt würden jedoch auch kurzfristige Hypes, wie etwa vergangenen Sommer, wenig am Geschäft ändern. Dazu ginge es bei der Kinowerbung auch um das Prestige: «Grosse Marken wollen auf die grosse Leinwand», sagt er. «Da spielt das Geld keine Rolle.»
Dennoch sei das Werbeangebot spürbar weniger breit. Und die Zahlen weiterhin deutlich unter dem Niveau von 2019. «Vielleicht werden wir diese auch nie mehr erreichen», sagt Kaufmann. Und durch das ausgedünnte Filmprogramm würde die Vermarktung sehr wohl etwas komplizierter. «Je nach Kampagne müssen wir mittlerweile etwas mehr Filme in das Paket nehmen», sagt er.
Ein Nebeneffekt der Kinokrise betrifft aber sowohl die Werber als auch die Kinobetreiber: «Das Fehlen von grossen Blockbustern führt zu weniger Medienecho. Das weckt auch bei den Zuschauenden weniger Interesse», sagt Kaufmann. Auch Epelbaum bemängelt, dass der Schweizer Filmjournalismus schrumpft. «Das Kino wird hier oft als ungeliebtes Stiefkind der Kultur betrachtet.»
Die Gründe, weshalb die Kinos kriseln, sind vielfältig. Eine Schuldige oder einen Schuldigen zu finden, sei nicht so einfach, sagt Epelbaum. So bleibt nur die Zuversicht. «Sorgen um meine Kinos mache ich mir nicht», sagt die Kinobetreiberin. «Respektive machen wir uns sowieso immer um alles Sorgen. Jetzt läuft es halt wieder etwas schlechter. Das vertragen wir.»