Alternative zu Bitcoin & Co.
Was du über das digitale Zentralbankengeld wissen musst

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schmiedet an einer digitalen Finanzmarktarchitektur. Die Ideen haben es in sich.
Publiziert: 02.07.2023 um 18:01 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 14:21 Uhr
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Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sieht in der Tokenisierung von Bankeinlagen Potenzial.
Foto: Keystone
Peter Rohner
Handelszeitung

Die Hochfinanz ist in New York, London oder Singapur zu Hause. Aber das wahre Zentrum des Geldes, wo alle Drähte zusammen laufen, ist Basel. Im Turmhochhaus, gleich neben dem Bahnhof SBB, sitzt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Sie ist die Bank der Zentralbanken, einst gegründet, um die Reparationszahlungen der Deutschen sicherzustellen. Sie verwaltet einen Grossteil der Währungsreserven der Notenbanken. Und sie fungiert als Austauschforum, Forschungszentrum und Ideenschmiede für Fragen rund um das Geldsystem und den Zahlungsverkehr.

Die BIZ-Forscherinnen interessieren sich nicht für graue Theorie. Was in Basel erforscht und diskutiert wird, ist das, was die nationalen Zentralbanken rund um den Globus am meisten beschäftigt. Deshalb steht die BIZ regelmässig im Fokus von Bankern und Bankenkritikerinnen.

Ein zentrales Metaregister für dezentralisierte Anwendungen

Nun lässt ein Kapital im neuen BIZ-Jahresbericht aufhorchen. Darin wird nichts weniger als die neue Finanzmarktarchitektur entworfen. Die Rede ist von einem «Unified Ledger», wodurch digitale Zentralbankwährungen, tokenisierte Gelder und Wertschriften auf eine programmierbare Plattform gebracht werden. Auch Smart Contracts, bei denen die Bedingungen für Zahlungen direkt in den Code geschrieben sind, können integriert werden.

Ein Ledger ist ein elektronisches Hauptbuch oder Register. Der Begriff wird normalerweise im Zusammenhang mit der Technik der Distributed Ledgers verwendet, bei der beliebig viele Kopien des Ledger dezentral von unterschiedlichen Parteien unterhalten werden und es keine zentrale Instanz mehr braucht. Bitcoin ist die bekannteste Anwendung.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Tokenisierung beschreibt den Prozess der digitalen Abbildung realer Vermögenswerte oder Ansprüche, zum Beispiel auf einer Blockchain. Die BIZ sieht in der Tokenisierung von Bankeinlagen ein zentrales Element der neuen Finanzmarktarchitektur.

Effizienter und programmierbar

BIZ-Forschungschef Hyun Song Shin nennt die Idee des Unified Ledger einen «Game-Changer» für die Art und Weise, «wie wir über Geld denken und wie Transaktionen durchgeführt werden».

Denn so eine Plattform kann laut Shin nicht nur das altbewährte System schneller und billiger machen, sondern würde die Türen für völlig neue Typen von «Arrangements» und Transaktionen öffnen. «Indem digitales Zentralbankgeld, digitales Bankgeld und verschiedene Assets auf einer Plattform zusammengeführt werden, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten», heisst es im entsprechenden Kapitel.

So würden zum Beispiel sofortige Transaktionen ohne Vermittlungsstelle ermöglicht, auch «Atomic Settlements» genannt, bei denen die Assets gleichzeitig und an Bedingungen geknüpft getauscht werden. Solche nahtlosen Transaktionen wären auch über Landes- und Währungsgrenzen hinweg möglich.

Die Zentralbanken sorgen für das nötige Vertrauen

Tokenisierte Bankeinlagen könnten laut Shin so programmiert werden, dass die Abhebung grösserer Geldbeträge eine Koordination mit anderen Einlagekunden erfordert. Das würde das Problem mindern, dass bei Unsicherheit alle Bankkunden und -kundinnen zuerst das Geld abziehen wollen und so einen Bank-Run provozieren. Auch im Bereich der Lieferkettenfinanzierung sieht Shin ein grosses Potenzial für programmierte Bedingungen und Automatismen.

Das BIZ-Hochhaus in Basel, entworfen von Martin Burckhardt.
Foto: imago images/Richard Wareham

Ziel der BIZ ist, alle neuen Technologien rund um die Digitalisierung von Geld und Assets und die privaten und öffentlichen Initiativen auf diesem Gebiet zusammenzubringen. Die Zentralbanken und die BIZ sollen dabei für das Vertrauen in die Währung und die sogenannte Singleness of Money garantieren. Es bedeutet, dass jeder Franken, jeder Dollar immer und überall den gleichen Wert hat.

Mit dem Unified Ledger behalten die Zentralbanken und die BIZ die Kontrolle über ein Finanzsystem, das immer mehr dezentralisiert organisierte Elemente enthält. Der Entwurf löst deshalb bei Verfechtern von dezentralen Lösungen wenig Begeisterung aus.

Eine zentralisierte Datenbank birgt Gefahren

Überraschend kommt die Idee des Unified Ledger aber nicht. «Es hat sich seit vielen Monaten abgezeichnet, dass internationale Institutionen wie die BIZ einen solchen Vorstoss wagen könnten», sagt Fabian Schär, Professor für Blockchain und Fintech an der Universität Basel. Der Geschäftsleiter des Center for Innovative Finance verfolgt die Entwicklung schon lange und ist auch regelmässig Redner bei Zentralbanken, Regulatoren und internationalen Institutionen.

«Es laufen verschiedenste Projekte im Zentralbankenumfeld, die versuchen, die neuartigen Ansätze aus der dezentralen Finanzwelt in einem zentralisierten Kontext zu nutzen», erklärt Schär. Das sei nicht per se schlecht. Die grosse Gefahr sei aber, dass beim Schritt von Dezentralisierung zu Zentralisierung Governance-Fragen stark unterschätzt werden. Wer bestimmt, was in die Smart Contracts programmiert wird? Und wie wird entschieden, welche Tokens und Coins auf die Plattform kommen?

Schär befürchtet, dass mit einem solchen programmierbaren Einheits-Ledger sehr viel Macht an einem Ort gebündelt wird. Auch wenn die BIZ betont, dass es offene Schnittstellen für andere Datenbanken geben werde, dürfe man den Einfluss, der von der Kontrolle über die Basisinfrastruktur ausgeht, nicht unterschätzen.«Es geht um eine umfassende Datenbank, auf der Währungen, Anlagen und Prozesse in der Form von Smart Contracts abgebildet werden sollen.

Attraktives Ziel für Cyberangriffe

«Offene Schnittstellen sind wichtig», sagt Schär. Doch viele der im Papier genannten Vorteile liessen sich technisch nur dann realisieren, wenn sich die verschiedenen Komponenten auf derselben Datenbank befänden. Schär vermutet, dass dies zu enormen Netzwerkeffekten führen und letztlich darin resultieren könnte, dass ein Grossteil der relevanten Transaktionen über diesen Unified Ledger abgewickelt werden. Aber die Zentralisierung verursache auch Kosten, die zwar oft externalisiert und schwer messbar seien, in ihrer Höhe aber nicht unterschätzt werden sollten.

Ein stark zentralisiertes System etwa ist ein attraktives Ziel für Cyberangriffe – das bestätigt auch die BIZ. Deshalb seien ausreichende Investitionen in die Resilienz und den Schutz vor Cyberkriminalität essenziell, so Shin. Bedenken wegen mangelnder Privatsphäre hält er entgegen, dass es genügend technische Möglichkeiten gebe, um die gewünschte Anonymität zu gewährleisten.

Keine Science-Fiction

Zum zeitlichen Fahrplan der Umsetzung des Entwurfs meinte Shin an der Pressekonferenz: «Das ist keine Science-Fiction», viele der Komponenten seien bereits da, es liefen zahlreiche Experimente mit digitalen Zentralbankwährungen und private Projekte mit tokenisierten Bankguthaben.

Die BIZ meint es also ernst. Geld soll Sache der Zentralbanken bleiben. Die Privatwährung Libra von Facebook konnte noch knapp verhindert werden. Jetzt geht die BIZ mit einem eigenen Entwurf in die Offensive.

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