Alexandra mauert und fährt Bagger am Zukunftstag
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Geschlechterrolle ist egal:Alexandra mauert und fährt Bagger am Zukunftstag

Alexandra baggert, Luke pflegt
Diese Teenies pfeifen auf Geschlechterrollen

Am Zukunftstag packen Teenies mit an: Sie schnuppern auf dem Bau, in der Pflege oder im Büro zum ersten Mal Arbeitsluft. Blick hat zwei Teenies am Zukunftstag begleitet.
Publiziert: 11.11.2021 um 19:39 Uhr
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Alexandra (12) schnuppert am Zukunftstag auf der Baustelle.
Foto: Thomas Meier
Sarah Frattaroli

Alexandra Hoppe (12) hat ein paar Berührungsängste. Sie fasst das staubige Baurohr mit spitzen Fingern an, wischt sich die Hände an den Jeans ab, kichert unsicher. Sie und ihre beiden Klassenkameradinnen Erisa (13) und Gabriela (13) sollen einen Kanal mit verschiedenen Röhren verlegen. Die drei Mädchen sind etwas hilflos – doch am Schluss hält die Konstruktion, Alexandra kippt einen Eimer Wasser ins Rohr, kein Tropfen rinnt heraus.

Eine Stunde später steht Alexandra in einer Halle, mauert Backsteine aufeinander. Rundherum sind Dutzende Maurer-Lernende am Werk, es ist ohrenbetäubend laut, Alexandras Pulli und Jacke sind mörtelverschmiert. «Macht nichts, man kann das ja wieder putzen», meint sie schulterzuckend.

Baggerfahren: «Absolut spitze»

Der Bagger hat das Eis gebrochen. Er war die zweite Aufgabe am Zukunftstag im Baumeister-Kurszentrum in Effretikon ZH. Alexandra bewegt den Baggerarm mit beeindruckender Präzision, versenkt ein Metallstäbchen an der Baggerschaufel in einem zentimeterschmalen Loch. «Absolut spitze!», lobt der Fachinstruktor, der ihr beim Baggerfahren hilft.

Alexandra besucht die 1. Sek in Dietlikon ZH, in drei Jahren beginnt sie eine Lehre. Letztes Jahr war Alexandra am Zukunftstag im Altersheim. Nun wollte sie etwas anderes ausprobieren, einen typischen Männerberuf sehen. «Und ich hatte keine Lust, im Büro zu hocken», sagt die Sekschülerin lapidar.

Das Baggern macht ihr die grösste Freude, «dazu kriegt man sonst nie die Chance». Der Bagger ist bei den Mädchen dermassen beliebt, dass Alexandra ihr Handy zückt, ihre Freundin Erisa beim Baggern filmt, das Video schnurstracks via Snapchat an ihre Freunde verschickt. Fürs Mauern hingegen kann sie sich nicht richtig begeistern. «Es hat mir etwas wehgetan an den Händen, und ich fand es schwierig.»

Mädchen gegen den Fachkräftemangel

Roland Stoll (44) hofft trotzdem, dass sich Alexandra nach der Sek für eine handwerkliche Lehre entscheidet. «Wir suchen händeringend Fachkräfte», sagt der Geschäftsleiter des Baumeister-Kurszentrums. Mädchen könnten Abhilfe schaffen. «Leider gelten handwerkliche Berufe bei vielen Mädchen als nicht besonders attraktiv.»

Das Vorurteil, wonach Frauen auf dem Bau nicht gleich gut anpacken können, sei längst überholt. «Maschinen erleichtern die Arbeit heutzutage», erklärt Stoll. Und ergänzt: «Mädchen machen den Job zum Teil sogar besser. Weil sie sich in einer Männerwelt behaupten müssen und besonders viel Feuer für den Beruf haben.»

10’000 Jugendliche schnuppern in der Arbeitswelt

Berufliche Geschlechtergrenzen zu sprengen und Vorurteile abzubauen: Das ist das Ziel des nationalen Zukunftstags. An die 10'000 Mädchen und Knaben haben sich an der diesjährigen Durchführung gestern Donnerstag beteiligt, haben einen Tag lang ihre Bezugspersonen zu einem Ausflug in die Arbeitswelt begleitet. Rund 4400 Betriebe und Bildungsinstitutionen hatten dafür ihre Türen geöffnet. Der Zukunftstag findet seit 21 Jahren statt und erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Viele Veranstaltungen waren dieses Jahr rasch ausgebucht, einzelne Firmen haben deshalb spontan Zusatzplätze angeboten.

Berufliche Geschlechtergrenzen zu sprengen und Vorurteile abzubauen: Das ist das Ziel des nationalen Zukunftstags. An die 10'000 Mädchen und Knaben haben sich an der diesjährigen Durchführung gestern Donnerstag beteiligt, haben einen Tag lang ihre Bezugspersonen zu einem Ausflug in die Arbeitswelt begleitet. Rund 4400 Betriebe und Bildungsinstitutionen hatten dafür ihre Türen geöffnet. Der Zukunftstag findet seit 21 Jahren statt und erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Viele Veranstaltungen waren dieses Jahr rasch ausgebucht, einzelne Firmen haben deshalb spontan Zusatzplätze angeboten.

«Im KV verdient man mehr»

Nur ein einziger Knabe ist an diesem Tag im Baumeister-Kurszentrum mit von der Partie. Es ist Stolls eigener Sohn. Stolls Fokus gilt heute dem weiblichen Nachwuchs. «Wenn bei zwei, drei Mädchen der Funke überspringt, haben wir schon viel gewonnen.»

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Bei Alexandra gelingt es nicht. Auch nach ihrem Erfolg am Bagger bleibt sie dabei: «Ich will das KV machen.» Also doch ins Büro hocken? «Da verdient man mehr», gibt die Zwölfjährige verschmitzt zurück. Roland Stoll nimmt es ihr nicht übel. «Die Teenies sollen auch einfach Spass haben heute!»

Luke legt zum ersten Mal einen Verband

Luke Böhmichen (13) hingegen hat am Zukunftstag Feuer gefangen für seinen Traumberuf. Er sitzt in einem Behandlungsraum des Gesundheits-Branchenverbands im Kanton Zürich und hantiert mit Verbänden, Tabletten und Pinzetten. «Stell dir vor, ich hätte hier am Arm eine Wunde. Da legst du nun einen Tupfer drauf», erklärt Fynn Dahlke (23), Lernender Fachmann Gesundheit (FaGe), der sich heute um den Berufsnachwuchs kümmert.

Luke ist hoch konzentriert, als der den Verband um den Arm seines «Patienten» wickelt. «Et voilà – schon hast du einen wunderschönen Verband!», lobt Dahlke seinen Schützling.

Nun richten Luke und Fynn Dahlke eine Medikamentenbox her. Morgens gibt es eine Magnesiumtablette, mittags einen Blutdrucksenker, abends erneut Magnesium. Die Tabletten sind so wirksam wie Pfefferminzbonbons, Luke übt mit Pillen-Attrappen. Er behandelt die Tabletten trotzdem, als wären sie Gold wert, fasst sie nur mit der Pinzette an, lässt sie dann ins richtige Kästchen des Medikamentenspenders fallen.

Corona als Inspiration für den Berufswunsch

Lukes Berufswunsch hat viel mit der Pandemie zu tun. «Die Pflege braucht es nun umso mehr. Das hat mir gezeigt: Ich will das unbedingt machen!» Bei Freunden gilt er als sozialer Typ, erzählt Luke stolz. Dass die Pflege als Frauendomäne gilt, stört ihn nicht im Geringsten. «Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen. Ob das Frauen oder Männer sind, ist mir egal.»

Fynn Dahlke freuts. «Das Vorurteil, dass die Pflege nur etwas für Frauen ist, merkt man in den letzten Jahren zwar weniger. Aber es ist immer noch da. Dabei können Männer genauso fürsorglich sein wie Frauen!» Und manchmal sei es auf der Station durchaus praktisch, wenn ein gross gewachsener Mann mit anpacken kann. «Bei übergewichtigen Patienten bewegen wir Massen von mehreren Hundert Kilo.»

Luke möchte seine Lehre am liebsten im Spital machen. «Der Tag hat mir den letzten Schub gegeben. Es war für mich ein echtes Highlight!» Bis zum Start ins Berufsleben dauert es aber noch eine Weile. Alexandra und Luke besuchen nun erst einmal drei Jahre lang die Sekundarschule, bis es in die Pflege, auf die Baustelle – oder eben doch ins Büro geht.

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