Abzocker-Schreck Thomas Minder über die Bonus-Orgie in der Pandemie
«Solche Vergütungen sind kriminell»

Die Pandemie kostet Tausenden den Job. Doch die Chefs der grossen Schweizer Unternehmen sahnen ab. Sogar der Staat lässt üppige Boni fliessen.
Publiziert: 23.05.2021 um 11:34 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2021 um 18:32 Uhr
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Urs Rohner tritt mit 4,7 Millionen Franken als CS-Präsident ab.
Foto: keystone-sda.ch
Danny Schlumpf

Die Credit Suisse versinkt in milliardenteuren Skandalen, die UBS steht in Frankreich vor Gericht. Die eine Grossbank schliesst Filialen, die andere baut 3000 Stellen ab. Das schmerzt Kunden, Aktionäre und Angestellte – nicht aber die Führungsriegen der Finanzhäuser.

Die sahnen auch in diesem Jahr kräftig ab. Zwar hat die CS wegen der Skandale die Vergütungen stark gekürzt – trotzdem kassiert CEO Thomas Gottstein (57) 2,9 Millionen Franken und Ex-Präsident Urs Rohner (61) nimmt 3,2 Millionen mit. Ex-UBS-Chef Sergio Ermotti (61) erhält 13,3 Millionen, sein Präsident Axel Weber (64) 5,2. Im jüngsten UBS-Geschäftsbericht heisst es dazu: «Wir halten weiterhin an unserem Ansatz einer massvollen Vergütung fest.»

Doch was heisst massvoll – mitten in einer Pandemie, die reihenweise Firmen flachlegt und Tausende den Job kostet? «Die Führungskräfte der Banken profitieren auch in der Krise», sagt Marc Chesney (61), Finanzprofessor an der Uni Zürich. «Geht es der Bank gut, geht es ihnen sehr gut. Und wenn es der Bank schlecht geht, geht es ihnen trotzdem gut.»

Jetzt will SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (62) dem Treiben ein Ende setzen. Diese Woche brachte sie das Thema in der Wirtschaftskommission des Nationalrats vor: «Es braucht eine andere Lohnkultur. Die immer höheren Boni treiben die Risikolust der Banker an.»

Gerade bei den Grossbanken sei das ein besonderes Problem: «Sie sind systemrelevant und müssen notfalls vom Staat gerettet werden. Ihre Risiken sind auch Systemrisiken.» Deshalb fordert Birrer-Heimo: «Die variablen Anteile an den Löhnen müssen massiv reduziert werden.»

Auch 2020 herrschte grenzenlose Gier

Variable Anteile – das sind Boni, die besondere Leistungen belohnen sollen, aber oft völlig unabhängig vom Erfolg fliessen. Auch jenseits der Bankenwelt stehen Firmenverluste exzessiven Vergütungen nicht im Weg: Die Kiosk-Gruppe Valora machte 2020 ein Defizit von über sechs Millionen Franken, Konzernchef Michael Müller (48) wird dafür mit 2,3 Millionen Franken belohnt.

«Wenn ein Unternehmen Verluste macht, sind solch riesige Vergütungen kriminell», sagt Ständerat Thomas Minder (60). «Der Fisch stinkt vom Kopf her. In den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen sitzen die grössten Abzocker.» Ihnen wollte Minder 2013 mit seiner Initiative das Handwerk legen. 68 Prozent der Schweizer stimmten dafür. Die Initiative habe zwar einige Auswüchse gestoppt, sagt er. «Aber die grossen Unternehmen schütten fleissig weiter Boni aus.»

Das System variabler Vergütungen entstand in den 1980er-Jahren in der US-Bankenwelt. Von dort schwappte es nach Europa über. Premier Tony Blair (68) führte es in den 90er-Jahren in der britischen Verwaltung ein. Bundeskanzler Gerhard Schröder (77) brachte es in die deutschen Amtsstuben. Heute sind Boni auch in staatsnahen Schweizer Unternehmen Normalität. Bei der SRG stehen variable Vergütungen hoch im Kurs: Generaldirektor Gilles Marchand (59) kassiert neben 431'000 Fixsalär einen Bonus von 101'000 Franken – für ein Jahr, in dem die SRG 13 Millionen Verlust notiert, Stellen abbaut und mit einer Belästigungsaffäre für Schlagzeilen sorgt.

«Das ist Irrsinn, sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz (48). «Die SRG wird durch öffentliche Zwangsabgaben finanziert. Ihre Führungskräfte tragen kein wirtschaftliches Risiko, verdienen aber mehr als ein Bundesrat.» Auch die Bundesverwaltung selbst knausert nicht mit variablen Anreizen: Für das Pandemiejahr 2020 schüttet sie 20 Millionen an Leistungsprämien aus. Für Prisca Birrer-Heimo ein No-Go: «In der Bundesverwaltung und in staatsnahen Betrieben muss es Fixsaläre ohne Boni geben.» Minder stösst ins gleiche Horn: «Diese Bonuskultur ist krank. Sie hat besonders beim Bund nichts zu suchen.»

Manager werden zu Junkies

Warum gibt es Boni überhaupt? «Sie sind wie Zucker beim Essen», sagt Stefan Heer (46), Arbeitspsychologe bei Leadnow. «Sie wirken schnell und sind begehrenswert. Aber wie der Zucker machen halt auch Boni süchtig.» Firmen, die sie ins Zentrum stellen, förderten egoistisches und berechnendes Verhalten ihrer Angestellten.

«Boni bringen keine grössere Zufriedenheit», sagt Heer – im Gegenteil: «Der Vergleich mit den Boni anderer ist ein dauernder Konfliktherd.» Jüngstes Beispiel ist die Eskalation eines internen Webcalls des Pharmariesen Roche: Die Angestellten beschwerten sich über horrende Vergütungen der Führungskräfte (Blick berichtete). «Das Beispiel zeigt, wie die Boni das Klima in einem Unternehmen vergiften können», sagt Heer.

Die Migros Bank zog Konsequenzen daraus: Seit 2019 bezahlt sie keine variablen Vergütungen mehr. «Der Bonus ist sehr umstritten und im modernen Bankgeschäft nicht mehr zeitgemäss», sagt die Bank. Jetzt zieht Raiffeisen Schweiz nach: Mit Beginn des Geschäftsjahrs 2021 hat sie die individuellen Bonuszahlungen abgeschafft.

Die Beispiele zeigten, dass es sehr wohl auch ohne Boni gehe, sagt Mathias Binswanger (58), Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Die grossen Skandale der Banken erfolgten erst nach der Einführung der Bonuskultur. Es ist richtig, diese Fehlentwicklung rückgängig zu machen.»

Die Bonuskultur sei auf dem absteigenden Ast, sagt auch Psychologe Heer. Und Thomas Minder ist überzeugt: «Der öffentliche Druck nimmt zu. Die Zeit der Boni ist vorbei.»

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