Überraschend war höchstens der Zeitpunkt: Bereits im August gibt ABB-CEO Björn Rosengren (65) sein Amt ab, ein halbes Jahr früher als erwartet. Erwartungsgemäss heisst der Nachfolger Morten Wierod (52), seit über einem Vierteljahrhundert im Konzern und Wunschkandidat von Rosengren. Der Norweger gilt als ruhig und zurückhaltend, er polarisiert nicht und kann es mit jedem gut – gar «einen Langweiler» nennt ihn ein ehemaliger Weggefährte. Aber vielleicht braucht es nach den Umbrüchen der letzten Jahre jetzt gerade diese Qualifikation an der Spitze des Konzerns mit 108'000 Mitarbeitern. Wierod wird ABB im Sinne Rosengrens weiterführen; nimmt man seine Vergangenheit als Massstab, sind grosse Disruptionen von ihm nicht zu erwarten – anders als beim unterlegenen Kandidaten Tarak Mehta, der als deutlich eigenwilliger und gestaltungsfreudiger gilt.
Rosengren hat den Konzern dezentralisiert und auf Rendite getrimmt, unter ihm hat sich der Aktienkurs nach Jahren der Stagnation trotz Pandemie und Ukraine-Krieg verdoppelt. Wierod muss den Erfolgskurs halten. Und das Geschäft mit der E-Mobility auf Vordermann bringen: Dessen geplanter Börsengang ist seit knapp zwei Jahren sistiert.
Die Familie
Morten Wierod ist verheiratet mit Tone Brand Wierod (51), die studierte Biophysikerin ist heute nicht mehr berufstätig. Sohn Magnus (23) arbeitet bei ABB in Zürich im Bereich Nachhaltigkeit und Menschenrechte, sein Bruder Frederik (25) als Programmierer in London. Die Familie hat ein grosses Feriendomizil in Mendrisio TI und ein Sommerhaus im norwegischen Schärengarten, wo Morten Wierod fischt und Zeit in der Natur verbringt.
Er ist Golfer (Handicap 11) und mit seiner Frau Mitglied im Golfclub Kragerø am Skagerrak, geht ausserdem gerne wandern und langlaufen. Jahrelang leitete er die Chelsea Supporters Norway, noch heute reist er gelegentlich nach London zu den Fussballspielen. Die skandinavische Community in der Schweiz ist gross, aus den einschlägigen Clubs wie Nordiska oder Norgesklubben Sveits hält er sich jedoch fern: «Es ist ihm gelungen, inkognito in der Schweiz zu leben und sich zu integrieren», sagt ein Landsmann.
Die Förderer
Wichtigster Förderer in den Anfangsjahren war Steffen Waal, Leiter der Niederspannungsprodukte, späterer norwegischer Länderchef von ABB und heute bei Hitachi Energy. Danach nahm Thorolf Damén, Geschäftsbereichsleiter Breakers and Switches, Wierod unter seine Fittiche. Vom damaligen CEO Ulrich Spiesshofer wurde er 2019 in die Konzernleitung berufen. Mit dem abtretenden CEO Björn Rosengren verstand sich Wierod von Anfang an gut: Wierod spricht – wie viele Norweger – fliessend schwedisch. Rosengren fädelte auch den Spartentausch ein, der Wierod vor zwei Jahren in die Poleposition brachte.
Die Nordic Connection
Dank Wierod bleibt die operative Führung von ABB, 1988 durch die Fusion der Schweizer BBC mit der schwedischen Asea entstanden, auch nach der Ära Rosengren in skandinavischer Hand. CFO Timo Ihamuotila ist Finne, Kommunikations- und Nachhaltigkeitschefin Karin Lepasoon Schwedin, ebenso wie HR-Leiterin Carolina Granat. Im zehnköpfigen Board sitzen mit Mats Rahmström, Johan Forssell (Vertreter des Grossaktionärs Wallenberg) und Lars Förberg (Vertreter des Grossaktionärs Cevian) drei Schweden. Das Schweizer Gegengewicht, VR-Präsident Peter Voser, kündigte schon an, noch weitere Jahre an der Spitze bleiben zu wollen.
Die Karriere
Ein Leben für ABB: Direkt nach dem Elektro- und Elektronikstudium an der Technischen Universität Trondheim fing Wierod im Januar 1998 als Verkäufer in der norwegischen Ländergesellschaft an. CEO war damals Göran Lindahl, VR-Präsident Percy Barnevik. Nach der Jahrtausendwende erlebte Wierod die dunkelsten Stunden von ABB mit, als der Konzern kurz vor der Pleite stand. Massgeblich für die Rettung verantwortlich war der damalige Finanzchef Peter Voser, der heutige VR-Präsident. 2008 wurde Wierod für drei Jahre nach Xiamen in China transferiert, einem der drei grossen ABB-Standorte im Reich der Mitte neben Peking und Shanghai. Von 2015 bis 2019 leitete er den – eher kleinen – Bereich Unit Drives and Controls. 2019 wurde er in die Konzernleitung berufen und war dort zuständig für Antriebstechnik mit 20'000 Mitarbeitern. Er galt schon damals aufgrund seines Leistungsausweises, des Alters und des skandinavischen Backgrounds als langfristiger CEO-Kandidat. Vor zwei Jahren, 2022, übernahm er den grössten Konzernbereich Elektrifizierung und steigerte den Umsatz der Sparte seither um 15 Prozent.
Die Gegenspieler
In der Endausmarchung um den CEO-Posten trat Wierod an gegen Tarak Mehta, Spartenleiter Antriebstechnik. Dass dieser nur Aussenseiterchancen hatte, war klar, seit er 2022 auf Wunsch von Rosengren in einem ungewöhnlichen Spartentausch den bisher von ihm geleiteten und viel grösseren Bereich Elektrifizierung an Wierod abgeben musste. Der Unterlegene hat bereits die Konsequenz gezogen: Er verlässt ABB und wird CEO des US-Industriekonzerns Timken mit 4,76 Milliarden Dollar Umsatz. Der formell dritte Kandidat, Finanzchef Timo Ihamuotila, hatte zu keinem Zeitpunkt eine echte Chance: Er musste in seinem übereifrigen Sparkurs sogar mehrmals von Rosengren gebremst werden. Der einzige Schweizer in der Konzernleitung, Peter Terwiesch, Leiter der Prozessautomation, kam wegen seiner Verwicklung in den Korruptionsfall Eskom in Südafrika gar nicht erst in Frage.
Im Markt sind Wierods grösste Konkurrenten Siemens unter Roland Busch, Schneider Electric unter Peter Herweck, Rockwell Automation unter Blake Moret und GE Vernova unter Scott L. Strazik.