Darum gehts
- Physiotherapie-Kosten steigen durch vermehrte Abrechnung aufwendiger Behandlungen
- Neue Abrechnungssoftware und Beratung durch Firma Compis beeinflussen Anstieg
- 2023 wurden 62 Millionen mehr als 2020 abgerechnet
Es sind auffällige Zahlen. In der Grundversicherung mussten die Krankenkassen im Jahr 2023 insgesamt 260 Millionen Franken für Physiotherapie erstatten. Drei Jahre zuvor waren es noch 62 Millionen Franken weniger gewesen. Dieser deutliche Anstieg wirft Fragen auf.
Eine Recherche des Konsumentenmagazins K-Tipp zeigt nun: Die Physios kosten für die Prämienzahlenden immer mehr, weil viele Praxen seit 2023 deutlich mehr aufwendige Behandlungen abrechnen. Die entsprechende Tarifposition 7311 kostet um die 80 Franken, während gewöhnliche Behandlungen mit der Tarifposition 7301 rund 30 Franken billiger vergütet werden. Der Bericht stützt sich dabei auf Daten der Helsana ab, wonach die oben erwähnten Mehrkosten vor allem auf das Konto der Tarifposition 7311 gehen – nämlich 51 Millionen Franken davon.
Plötzlich gibts 50 Prozent mehr komplizierte Behandlungen
Gemäss einer Auswertung der CSS fielen rund 200 Praxen durch eine besonders starke Zunahme der 7311-Rechnungen auf. In gewissen Physios betrug die Quote für aufwendige Therapien 90 Prozent, heisst es im Bericht. Bei anderen waren es nur 18 Prozent.
Dem K-Tipp liegt ein konkreter Fall der Physiozentrum AG in St. Gallen vor. Die Quote für teurere Abrechnungen stieg 2023 von 20 auf 70 Prozent. Gemäss Kontrolle der zuständigen Krankenkasse hätten zwei Drittel der 7311er-Behandlungen mit dem normalen Tarif verbucht werden müssen.
Doch woher kommt diese Zunahme? Experten von CSS und Helsana erklären im Bericht, der Anstieg hänge mit einer neuen Abrechnungssoftware und Beratungen durch die Zuger Firma Compis zusammen. Seit dem Frühjahr 2023 ist die Software in etlichen Praxen in Gebrauch.
Compis verdient mit
Die Betroffenen im konkreten Fall wehren sich gegenüber dem Konsumentenmagazin. Die Physiozentrum AG erklärt, dass die Quote der 7311er-Abrechnungen «nicht annähernd bei 70 Prozent» liegt. Zudem sei für die Rechnungsstellung seit zwei Jahren ein Team von Tarifexperten zuständig. Die jeweiligen Behandlungen würden den Anforderungen für den teureren Tarif entsprechen. Die Compis sagt derweil, die «korrekte Abrechnung liegt in der Verantwortung der Physiotherapeuten».
Brisant: Auch die Compis profitiert, wenn Physios den teureren Tarif abrechnen. So erhalten sie eine einmalige «Erfolgsrechnung» von 1000 Franken, sobald ein Physiotherapeut pro Monat mehr als die Hälfte 7311er-Abrechnungen aufweist.
Ärzte rechnen falsch ab
Die auffälligen Abrechnungen erinnern an die falschen Arztrechnungen, über die der «Beobachter» kürzlich berichtete. Gemäss dem Krankenkassenverband Santésuisse werden jährlich Rechnungen im Wert von rund drei Milliarden Franken korrigiert und folglich nicht ausgegeben. Schätzungen deuten darauf hin, dass trotz standardisierten Kontrollen ein hoher dreistelliger Millionenbetrag unentdeckt bleibt.
Ärzte, die falsch abrechnen, haben derweil nicht viel zu befürchten. Als Patient ist man dagegen oftmals der Leidtragende. Wer Falschabrechner entlarvt, kommt in vielen Fällen nicht billiger davon.
Das kannst du tun
Wenn du vermutest, dass sein Physiotherapeut eine Behandlung falsch vergütet hat, kannst du dich beim Kundendienst deiner Krankenkasse melden. Der Grossteil der Physio-Therapien entsprechen dem normalen Tarif, wie der K-Tipp schreibt. Nur wenn bestimmte Krankheitsbilder eine Behandlung erschweren, können Physios teurer abrechnen. Dazu gehört beispielsweise eine Beeinträchtigung des Nervensystems oder wenn mehrere Körperregionen involviert sind.
Vielleicht löst sich das Problem mit den auffälligen Abrechnungen aber auch von alleine. Denn nach fast 30 Jahren bekommt die Tarifstruktur der Physiotherapeuten ein Update, wie Physioswiss am Donnerstag mitteilt. «Insgesamt wird die Vergütung um bis zu 20 Prozent steigen», heisst es. Von einem Pauschaltarif wechselt man nun zu einem Zeitleistungstarif.