Flughafen Zürich, 2. Oktober 2001, 16.15 Uhr: «Meine Damen und Herren, liebe Fluggäste. Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen.» Diese Ansage über die Lautsprecher am Flughafen Zürich geht in die Geschichtsbücher ein. Es ist der Moment, in der die Schweizer Öffentlichkeit realisiert: Es ist vorbei.
Die Swissair ist zu diesem Zeitpunkt bereits gegroundet. Einige Stunden zuvor musste die einst florierende Fluggesellschaft ihren Betrieb einstellen. Den Schweizern fehlte das Geld, um den Flugtreibstoff zu bezahlen. 260 Maschinen und mit ihnen rund 19'000 Passagiere bleiben an diesem Tag am Boden. Die Bilder der gestrandeten Swissair-Flotte gehen um die Welt.
Die Swiss ist lange ein Gewinnturbo
Die Schweiz ist in ihrem im Stolz verletzt. Peinlich berührt. Wütend. Tausende Swissair-Angestellte ziehen zwei Tage nach dem Grounding vors Bundeshaus, demonstrieren gegen die Grossbanken. «Widerstand lohnt sich – vereint sind wir stark», heisst es auf einem Spruchband. Doch die leise Hoffnung auf eine Rettung zerschlägt sich bald. Die Swissair ist Geschichte. Die neue Swiss geschaffen.
Die Schweizer Fluggesellschaft wird bald von der Lufthansa-Gruppe gekauft. Die Swiss ist lange ein Gewinnturbo, bis die Corona-Pandemie die Airline-Branche in eine tiefe Krise stürzt. Trotz Auswirkungen der Pandemie steht die Lufthansa-Tochter Anfang Herbst 2021 stabil da. Die Situation ist am 20. Jahrestag des denkwürdigen Swissair-Groundings nicht vergleichbar. Die Chronologie der Ereignisse zeigt auf, wie es damals zum Swissair-Drama kommen konnte:
6. Dezember 1992: Die Schweiz lehnt den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Das Nein blockiert das bilaterale Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU). Die Swissair hat keinen freien Zugang mehr zum europäischen Markt.
Dezember 1994: Der Verwaltungsrat der Swissair-Group gibt grünes Licht für die Übernahme von 49 Prozent der belgischen Fluggesellschaft Sabena. Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass Sabena stark verschuldet und in der Vergangenheit chronisch defizitär war.
Januar 1997: Um die Schwierigkeiten der Swissair-Group in Europa zu überwinden, setzt ihr neuer Chef Philippe Bruggisser (73) auf die ruinöse Hunter-Strategie. Sie besteht darin, die Gruppe durch den Erwerb von Beteiligungen an nationalen und regionalen Fluggesellschaften zu erweitern.
1998 bis 1999: Die Gruppe beteiligt sich in der Folge an der italienischen Volare, der französischen Air Littoral, Air Europe, AOM, der deutschen LTU, South African Airways und der polnischen LOT. Viele dieser Unternehmen stehen wirtschaftlich gesehen auf schwachen Beinen. Gate Gourmet, die Catering-Tochter der Fluggesellschaft, übernimmt derweil das amerikanische Unternehmen Dobbs.
2. September 1998: Eine Swissair MD-11 stürzt in Halifax nahe der kanadischen Küste ab. 229 Menschen kommen ums Leben.
2000: Die Swissair erhöht ihre Beteiligung an Sabena auf 85 Prozent. Für das Jahr 2000 rechnet man mit einem Gewinn von 200 Millionen Franken.
23. Januar 2001: Die Probleme der Swissair werden immer grösser. CEO Philippe Bruggisser wird mit sofortiger Wirkung entlassen. Der Verwaltungsrat gibt die Hunter-Strategie offiziell auf.
15. März 2001: Er soll der Retter in der Not sein: Mario Corti (74), bisheriger Finanzchef von Nestlé, übernimmt den Chefsessel bei der Gruppe. Er wird auch deren Verwaltungsratspräsident.
2. April 2001: Aus dem angestrebten Plus von 200 Millionen Franken wird ein riesiges Minus: Corti verkündet den historischen Verlust von 2,9 Milliarden Franken für die Swissair Group für das Jahr 2000.
11. September 2001: Die Terroranschläge in den USA sorgen für eine vorübergehende Unterbrechung des Flugverkehrs über den Nordatlantik. Dies verursacht grosse Verluste für die meisten globalen Fluggesellschaften, auch für die Swissair.
24. September 2001: Um die Swissair zu retten, kündigt Chef Mario Corti einen radikalen Umbau der Gruppe an: Fusion mit der Crossair, Reduktion des Streckennetzes, Streichung von Tausenden von Arbeitsplätzen.
2. Oktober 2001: Der Schlüsseltag. Es kommt zum Grounding: Die Flugzeuge der Swissair bleiben aufgrund des drohenden Konkurses am Boden, da das Unternehmen nicht mehr über die nötigen Mittel verfügt, um den Treibstoff zu bezahlen. Tausende Kunden stranden. Die Bilder der am Flughafen Zürich-Kloten parkierten Flugzeuge gehen um die Welt.
3. Oktober 2001: Der Bundesrat, die Banken und die Geschäftsleitung der Swissair einigen sich auf einen Rettungskredit des Bundes von 450 Millionen Franken, damit die Swissair bis zum 28. Oktober den Flugbetrieb wieder aufnehmen kann.
4. Oktober 2001: Tausende Swissair-Angestellte ziehen zwei Tage nach dem Grounding vors Bundeshaus, demonstrieren gegen die Grossbanken. «Widerstand lohnt sich – vereint sind wir stark», hiess es auf einem Spruchband.
8. Oktober 2001: Corti kündigt an, dass die Swissair Group weltweit 9000 Stellen abbauen wird, davon 2560 im Airline-Geschäft.
22. Oktober 2001: Der Bundesrat gibt grünes Licht für die Lancierung einer neuen nationalen Fluggesellschaft, die zu 20 Prozent vom Bund, zu 18 Prozent von den Kantonen und zu 62 Prozent von Privaten kontrolliert wird.
7. November 2001: Auch die Sabena wird durch das Swissair-Debakel in Mitleidenschaft gezogen und meldet offiziell Konkurs an.
16./17. November 2001: Das Schweizer Parlament bewilligt eine finanzielle Unterstützung von 2,1 Milliarden Franken für die Weiterführung der Swissair-Flüge bis Ende März 2002 und die Gründung einer neuen Fluggesellschaft.
31. März 2002: Die Swissair verschwindet nach 71 Jahren, und die neue Airline mit dem Namen Swiss hebt am folgenden 1. April ab. Die neue Fluggesellschaft verfügt über 133 Flugzeuge, darunter 26 Lang- und Mittelstreckenflugzeuge, die sie von der ehemaligen Swissair übernommen hat, und startet mit rund 12'000 Mitarbeitenden. Ihr nordamerikanischer Partner ist American Airlines.
22. März 2005: Die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa gibt bekannt, dass sie die Swiss für umgerechnet bis zu 310 Millionen Euro kauft.
16. Januar bis 9. März 2007: Prozess gegen 19 ehemalige Swissair-Führungskräfte vor dem Bezirksgericht Bülach. Unter ihnen befinden sich die ehemaligen Swissair-Chefs Mario Corti und Philippe Bruggisser sowie der Verwaltungsrat in corpore, das heisst der ehemalige Credit-Suisse-Chef Lukas Mühlemann (71), der Industrielle Thomas Schmidheiny (75), die ehemalige Ständerätin Vreni Spoerry (83, FDP/ZH), der Genfer Bankier Bénédict Hentsch (72) und Verwaltungsratspräsident Eric Honegger (75). Die meisten von ihnen plädieren auf «nicht schuldig».
7. Juni 2007: Das Bezirksgericht Bülach spricht die 19 angeklagten Manager des Debakels der untergegangenen Airline-Gruppe frei.
März 2008: Der endgültige Preis für die Übernahme der Swiss durch die Lufthansa wird bekannt gegeben: Er beträgt 339 Millionen Franken. (nim/SDA)