Die Apfelbeere blüht bereits, daneben wachsen Salbei und Hauswurz. Bald werden auch Spitzwegerich und Huflattich im Kräutergarten der Shampoo-Firma Rausch in voller Blüte stehen. Direkt hinter dem Hauptgebäude in Kreuzlingen kultivieren ein Gärtner und das Team der Forschung und Entwicklung Kräuter und Blumen in einem 2000 Quadratmeter grossen Garten – zu Forschungszwecken, zu einem kleinen Teil für die Produktion und natürlich als Erholungsort für die gut 100 Mitarbeiter.
Auf dem Gelände, nur wenige Minuten vom Bodensee entfernt, befindet sich auch die Produktion. Seit mehr als hundert Jahren stellt die Schweizer Firma Rausch aus Blüten, Blättern, Rinden und Wurzeln Extrakte her. Diese sollen helfen bei Schuppen, trockenem, fettigem, gefärbtem, strapaziertem oder feinem Haar. Pro Tag werden bis zu 20 000 Flaschen an Haarpflegeprodukten abgefüllt.
Seit 75 Jahren ist das Thurgauer Unternehmen im Besitz der Familie Baumann. Drei Generationen haben es seither geführt. Die Familienfirma bringt alles mit, was sich ein Kosmetikunternehmen heute wünschen kann: Natürlichkeit, Swissness, eine jahrzehntelange Geschichte und eine Marke, die Vertrauen ausstrahlt.
Trotzdem greifen nur wenige junge Kunden zu den Rausch-Produkten. Und auch die loyalen Konsumenten kaufen aus der breiten Palette an Shampoos, Spülungen, Tinkturen und Masken meist nur ein Produkt. Das Problem ist das Image von Rausch: Den einen ist die Marke zu altbacken und bieder, die anderen übersehen sie schlicht.
Sanfter Relaunch
Rausch muss moderner und vor allem sichtbarer werden. Für diese Herkulesaufgabe haben die Familie Baumann und der Verwaltungsrat im Juli 2021 Sandra Banholzer auf den CEO-Posten gesetzt. Die ehemalige Migros-Managerin soll Rausch zeitgemässer positionieren und so die Verkäufe ankurbeln – in Drogerien, Apotheken, Supermärkten und online.
Derzeit erzielt Rausch einen Umsatz von etwa 30 Millionen Franken pro Jahr. Ein Redesign im vergangenen September war der erste wichtige Schritt, in den nächsten Monaten soll eine Marketingoffensive folgen. Huflattich, Minze, Salbei und Weidenrinde – auch die Sitzungszimmer sind bei Rausch nach Kräutern benannt. Im Raum «Malve» erklärt Banholzer, wie sie Rausch zum Fliegen bringen will.
Die 47-jährige Bernerin hält mit ihrem Know-how und ihrer Begeisterung für das Haarpflegesortiment ihres Arbeitgebers nicht hinterm Berg. Das war nicht immer so. Weder war Banholzer Rausch-Kundin, noch kannte sie die Geschichte hinter der Marke. Dass der Firmengründer auch Erfinder des Flüssigshampoos war, die Firma einen eigenen Kräutergarten besitzt und alle Extrakte selbst herstellt, wissen aber selbst loyale Rausch-Kunden kaum.
Als sich vor vier Jahren ein Headhunter mit dem Angebot von Rausch bei Banholzer meldete, probierte sie die Shampoos und Spülungen. Die Produkte überzeugten sie. «Das ist ein Schatz, den man heben muss», denkt sie. «Ich bin heute noch begeistert und voll davon überzeugt, dass man Rausch noch viel besser vermarkten kann.»
Beim Relaunch im vergangenen September wurde vor allem das Logo modernisiert, und die Etiketten wurden «aufgeräumt». Neu wird die Wirkung prominenter auf der Flasche angepriesen, während vorher die Kräuter an erster Stelle standen. «Kunden suchen aber nicht nach Huflattich», sagt Banholzer, «sondern nach einem Shampoo gegen Schuppen.»
Ein aufwendiges und gleichermassen zeitintensives Unterfangen war die Anpassung des Logos. In zahllosen Runden mit dem Senior Marco Baumann, seinen Söhnen und dem Verwaltungsrat wurden die Veränderungen schliesslich abgesegnet. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Firmensignet in einem Familienunternehmen sakrosankt ist. Die Modifikationen sind wohl auch deswegen eher vorsichtig ausgefallen.
Chance vertan
Für den Werber und Markenexperten Hans Peter Riegel ist die Positionierung von Rausch mit gesundheitsfördernden Produkten aus natürlichen Inhaltsstoffen seit je klar und gut sichtbar. Doch auch nach dem Relaunch findet er den Auftritt noch zu bieder: «Es besteht ja der Wunsch, jüngere Zielgruppen zu erreichen. Das ist mit diesem Auftritt kaum möglich.»
Für den Partner und Creative Director der Kommunikationsberatung Riverside hat Rausch beim Relaunch die Chance vertan, die Marke neu zu positionieren. «Rausch macht den Fehler vieler Traditionsunternehmen. Sie trauen sich nicht, einen disruptiven Weg zu wählen, einen wirklich frischen, überraschenden Auftritt hinzulegen», stellt Riegel fest.
Mit dem neuen Markenauftritt beauftragte Rausch die Agentur Branders, die schon in der Vergangenheit Marketing- und Kommunikationsprojekte umgesetzt hatte. Auf der Homepage der Zürcher Werber stechen die schicken Büros an bester Innenstadtlage, bestückt mit Designmöbeln, ins Auge. Ein spannender Kontrast zum Rausch-Hauptsitz an der Bärenstrasse in Kreuzlingen.
In der ehemaligen Schuhfabrik sind die Büros eher gemütlich als mondän. Und nach mehreren Um- und Anbauten findet man sich in den zahlreichen Treppenhäusern und Fluren erst nach einer Weile zurecht. An dem Relaunch arbeiteten fünf Personen der Agentur mit. Das neue Konzept dürfte Rausch mindestens einen sechsstelligen Betrag gekostet haben.
Mit dem neuen Design möchte Banholzer Rausch zwar zeitgemässer positionieren, doch ohne dabei die DNA des Familienunternehmens aus den Augen zu verlieren. «Es war die oberste Prämisse, keinen einzigen bestehenden Kunden zu verprellen», erklärt sie. Es sei nie das Ziel gewesen, disruptiv zu sein. «Bei einer Marke wie Rausch ist es ganz zentral, dass der Kern unangetastet bleibt.
Denn auf diesem Erbe baut sehr vieles auf», sagt Banholzer, die als Managerin von Chocolat Frey, Delica und Midor zuletzt mehr als 300 Mitarbeitende während der Fusion der drei Firmen geführt hatte.
Mehr Musik
«Der Relaunch kam sehr gut an, auch das nachhaltige Verpackungsmaterial. So konnten wir zum Teil eine breitere Distribution erzielen», freut sich die Rausch-Chefin. An den Zahlen sehe man das noch nicht so deutlich. Banholzer weiss, dass es mit neuen Etiketten allein nicht getan ist. «Jetzt müssen wir investieren und kommunizieren, damit die Verkäufe bei unseren Händlern anziehen.»
Daher wird im Mai die Rundum-Kommunikationsoffensive – von der Fachpresse bis zur Werbung für Endkonsumenten – gestartet. «Mehr Musik machen», wie es Banholzer nennt. Als Managerin für die Migros-Industrie hat sie mehrere Jahre in den USA und Kanada gearbeitet und weiss daher, wie man laut sein kann. Bei dieser Gelegenheit wird Rausch auch eine ganz neue Linie präsentieren, die das Haar vor Pollen und Feinstaub schützen soll.
Dafür werden Extrakte aus Jungäpfeln eines Thurgauer Biobauern verwendet. Die Äpfel können nicht gegessen werden, ihr Extrakt enthalte trotzdem wertvolle Antioxidantien, rührt Banholzer begeistert die Werttrommel.
Die anstehenden Marketingmassnahmen, allen voran die Werbung für Endkonsumenten, sind eine grosse Investition für Rausch, obwohl sie erst mal auf die Deutschschweiz beschränkt ist. Doch obgleich auch Rausch im aktuellen Umfeld ein stringentes Kostenmanagement betreiben muss, werden bei den Investitionen in die Marke keine Abstriche gemacht.
«Wir müssen jetzt Schub generieren», betont Banholzer, die beim Spielen, Skifahren oder Wandern mit ihren zwei Töchtern am besten abschalten kann. Ihr Mann übernimmt 100 Prozent der Care-Arbeit und hält ihr den Rücken frei für die anspruchsvolle Transformation von Rausch.
Als eine ihrer ersten Amtshandlung führte Banholzer bei Rausch eine Du-Kultur ein. Einige Mitarbeitende mussten sich erst daran gewöhnen, doch heute wird über alle Hierarchien, Abteilungen und Standorte hinweg geduzt. Eine Ausnahme bleibt der Patron. Der ist für alle noch «Herr Baumann».
Doch sehr oft lässt sich der 77-Jährige nicht am Hauptsitz in Kreuzlingen blicken. Sitzungen mit der Eigentümerfamilie gibt es drei, vier pro Jahr. Wenn langjährige Kunden aus dem Ausland zu Besuch in den Thurgau kommen, lässt es sich Herr Baumann aber nicht nehmen, zu einem Ausflug oder Abendessen einzuladen.
Die Kunst, loszulassen
Vor vier Jahren hat er seinen Söhnen Lucas und Tom die Aktienmehrheit an Rausch übertragen. Zur gleichen Zeit gab er das Verwaltungsratspräsidium ab und trat ganz aus dem Aufsichtsgremium aus. Baumann war 1968 als 22-Jähriger ins väterliche Unternehmen eingetreten und hatte 1974 die Leitung übernommen. Mehr als vierzig Jahre später übergab er dann seinem älteren Sohn Lucas die operative Führung.
Dessen jüngerer Bruder Tom, im Hauptberuf Sänger in der A-capella-Band Bliss, bekam einen Sitz im Verwaltungsrat. Doch schon nach vier Jahren tritt Lucas Baumann vom CEO-Posten zurück. Die Jahre unter seiner Leitung seien sehr erfolgreich für Rausch gewesen, heisst es. Sein Rücktritt steht nicht im Zusammenhang mit einem Misserfolg.
Es ist vermutlich eher diese Geschichte, die man immer wieder hört: Das Familienoberhaupt leitet eine Firma über Jahrzehnte und übergibt dann der nächsten Generation das Ruder. Alles, was der Sprössling anpackt, wird hinterfragt, vieles würde der Senior anders entscheiden. Konflikte zwischen den Generationen sind programmiert. «Das Loslassen ist bei einer innerfamiliären Nachfolge extrem schwierig bis unmöglich», sagt Tom Baumann. Sich abzugrenzen, sei bei einer aussenstehenden Person, die man nicht schon in Windeln gesehen hat, einfacher.
Banholzer führte nicht nur das Du bei Rausch ein, sie fordert von allen Mitarbeitern auch mehr Eigenverantwortung. «Da sind wir noch dran», sagt sie, denn es brauche eine Weile, bis man verstehe, was von einem erwartet wird. Tom Baumann schätzt diesen partizipativen Führungsstil: «Sie hält eine gute Balance», beschreibt er die Managerin.
Wenn es nötig sei, könne Banholzer sehr konsequent entscheiden. «Doch immer, wenn es möglich ist, bindet sie die Mitarbeitenden ein. Dieses Mitspracherecht wird von der Belegschaft extrem geschätzt.» Eine gute Firmenkultur ist für Rausch ein wichtiges Argument im Kampf um Fachkräfte.
Denn beim Lohn kann das Familienunternehmen mit Konzernen wie L’Oréal oder Beiersdorf nicht mithalten. Ihr empathischer Führungsstil hat Banholzer im März den Titel der «CEO des Jahres» eingebracht. Die Jury des SEF Women Award begründete die Wahl damit, dass Banholzer «das Unternehmen mit Empathie und Begeisterung sicher durch den nötigen Kulturwandel begleitet und dabei ihr Team auf Augenhöhe führt».
Banholzer ist enthusiastisch, und manchmal trifft sie impulsive Entscheidungen. Wie etwa zu Beginn des Jahres, als sie sich ihre langen Haare abschneiden liess und sie bei einer Spendenaktion für Perücken verschenkte. Sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie diese Aktion auch für Werbung genutzt hat. Das Charity-Thema hätte kaum passender sein können. «Rausch steht nicht nur für Schönheit, sondern auch für Wohlbefinden», sagt Banholzer – heute sehr zufrieden mit dem neuen Haarschnitt.
Trend und Tradition
Bei vielen Themen, die heute in den sozialen Medien als Trends gefeiert werden, ist Rausch schon seit Jahrzehnten dabei. «Sensorische und haptische Aspekte spielen in der Haarpflege derzeit eine grosse Rolle», sagt die Naturkosmetik-Expertin Anna Mandozzi.
Daher haben die Shampoos von Rausch mit den verschiedenen Farben, Düften und Texturen ihrer Meinung nach viel Potenzial. Auch zum Trend der «Skinification» in der Haarpflege – also Kopfhaut und Haare in mehreren Schritten ähnlich wie die Gesichtshaut zu pflegen – hat Rausch die passenden Produkte seit je im Sortiment. «Es ist ein sehr gutes Konzept, mit unterschiedlichen Kräutern die verschiedenen Anforderungen von der Kopfhaut bis zu den Haarspitzen zu bedienen», urteilt Mandozzi, CEO und Gründerin von Biomazing, einer Plattform für Naturkosmetik.
Auch die Qualität der Produkte, ohne Silikon und mit selbst hergestellten Kräuterextrakten, ist für sie unumstritten. «Doch das alles sehe ich als Konsumentin nicht im Marketing oder im Drogerie-Regal.» Die wenigsten Kunden würden eine Shampoo-Flasche umdrehen, um die Inhaltsstoffe zu studieren. «Die Produkte und die Story von Rausch sind wirklich gut», betont auch Werbeexperte Riegel, «aber das alles könnte man noch viel besser verkaufen.»
Die Marketingoffensive, die im Mai beginnen soll, kommt daher keine Minute zu früh. Doch mit Werbung allein ist es nicht getan. Rausch muss besser darin werden, ihre Geschichten zu erzählen, sei es in den sozialen Medien, bei Events oder über Fachberater im Handel.
Auch für den Ausbau des Onlinehandels, um den Marco Baumann immer einen grossen Bogen gemacht hat und wo Rausch bisher weniger als zehn Prozent des Umsatzes erzielt, wartet noch viel Arbeit auf Banholzer. Für all diese Projekte braucht es Zeit und eine volle Kasse. Ob die nächste Kampagne Wirkung zeigt, wird man spätestens im Herbst feststellen – wenn Schafgarbe und Lavendel geerntet werden.