124 Betreibungen laufen
Thurgauer Schreinerei zahlt Ex-Mitarbeitenden den Lohn nicht

20 Ex-Mitarbeitende fordern über 260’000 Franken von einer Schreinerfirma im Thurgau. Und die Liste der Gläubiger wird immer länger. Der Betrieb widerspricht den Vorwürfen.
Publiziert: 04.06.2024 um 13:08 Uhr
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Aktualisiert: 04.06.2024 um 16:56 Uhr
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Die Schreinerei Itel in Basadingen TG schuldet ehemaligen Mitarbeitenden viel Geld. (Symbolbild)
Foto: imago/Sven Simon
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Chantal Hebeisen
Beobachter

Rafael Siebers erster Eindruck von der Schreinerei Itel in Basadingen TG war super. «Der zukünftige Chef war sehr freundlich und zuvorkommend. Ich habe mich gefreut, dort anzufangen.» Er unterzeichnete den Arbeitsvertrag – nicht ahnend, dass er später monatelang um seinen Lohn würde kämpfen müssen. «Ich glaubte, mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag sei ich auf der sicheren Seite.»

Seinen wahren Namen und sein Alter nennen wir hier zu seinem Schutz nicht. Denn nachdem der Beobachter den Firmeninhaber um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten hatte, drohte dieser nicht nur dem Beobachter mit rechtlichen Konsequenzen, sondern auch ehemaligen Mitarbeitenden. 

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Nach Kündigung gab es keinen Lohn mehr

Sieber erzählt, dass die Mitarbeitenden oft Ende Monat nur einen Teil des Lohns erhielten, teils komme die Zahlung erst am 10. des Folgemonats. «Jeder Mitarbeiter muss Ende Monat im Büro des Chefs die Lohnabrechnung unterschreiben – auch wenn der Lohn noch nicht auf dem Konto ist.»

Und wer – wie er – irgendwann kündigt, erhalte ab diesem Zeitpunkt gar keinen Lohn mehr. Auf der Jobbewertungsplattform Kununu klingt es in über einem Dutzend Kommentaren ähnlich: «Kein Lohn, leere Versprechungen, keine Einarbeitung», schrieb ein User im Mai. «Finger weg von diesem Betrieb» oder «Der Betrieb gefährdet bewusst Existenzen», schreiben andere. Derzeit beschäftigt die Firma 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vier Stelleninserate sind aufgeschaltet.

Ex-Mitarbeitende fordern Lohn von der Itel AG

Dass bei der Firma Itel AG Innenausbau einiges im Argen liegt, zeigt ein Blick auf den Betreibungsregisterauszug, der dem Beobachter vorliegt: Elf Seiten lang ist er Ende März und listet 124 Betreibungen auf – allein für die letzten zwei Jahre. Die Forderungen belaufen sich auf knapp 1,2 Millionen Franken. Gläubiger sind unter anderem Steuerbehörden, das Sozialversicherungszentrum, Lieferanten, aber auch die Suva und 19 ehemalige Mitarbeitende.

Die Lohnforderungen aller ehemaligen Angestellten belaufen sich derzeit auf über 260’000 Franken – darunter sind einzelne Ex-Mitarbeiter, die die Itel AG auf über 60’000 Franken betreiben. Hinzu kommen fast 400’000 Franken Sozialabgaben, die der Firmeninhaber erst nach Pfändung oder Konkursandrohung gezahlt hat. 

Itel AG sagt, Lohn werde gezahlt

Der Firmeninhaber weist die Vorwürfe zurück: «Wir haben allen Mitarbeitern die Löhne gezahlt, auch wenn jemand nun das Gegenteil behauptet.» Die Firma pflege einen fairen und transparenten Umgang mit den Mitarbeitenden. Er räumt zwar ein, dass er die Löhne nicht immer vollständig per Ende Monat zahlen könne. «Das ist aber kein Verbrechen.»

Gemäss Obligationenrecht müsste der Lohn Ende Monat gezahlt sein. «Die Löhne auf dem aktuellen Betreibungsregisterauszug sind im Zahlungsprozess, wir werden sie in Raten abzahlen.»

Mitte Mai 2024 bekommt der Beobachter erneut einen Betreibungsregisterauszug zugespielt – er ist bereits zwei Seiten länger. 20 neue Betreibungen sind hinzugekommen, vom Sozialversicherungszentrum, vom Steueramt und auch von weiteren Ex-Mitarbeitern. Die Summe der Lohnforderungen ist im gleichen Zeitraum lediglich um knapp 6000 Franken geschrumpft.

Auch Rafael Sieber wartet noch immer auf sein Geld. «Trotz Betreibung über mehrere Tausend Franken zahlt die Firma keinen Rappen.»

Bei Überschuldung müsste Konkurs eröffnet werden

Ein Mann, der die Schreinerbranche seit Jahren kennt – nennen wir ihn Herrn Amrein –, benennt das Problem so: «Der Firmenchef versteht nur eine Sprache: harte rechtliche Konsequenzen.» Eine Betreibung reiche nicht. «Er erhebt sofort Rechtsvorschlag, dann muss der Mitarbeiter beweisen, dass die Firma den Lohn tatsächlich schuldet – und beim Gericht einen Antrag auf Konkurseröffnung stellen.»

Doch dafür muss man dem Gericht einen Vorschuss zahlen. Amrein vermutet, dass viele Betroffene vor diesem Schritt zurückschrecken, denn ihnen fehlen ja bereits Tausende Franken Lohn. «Wer aber nicht bis zu diesem letzten Schritt geht, erhält seinen Lohn wohl nie mehr.» 

Das Betreibungsamt kennt den Betrieb

Bei der hohen Summe an Betreibungsforderungen besteht der Verdacht, die Firma könnte überschuldet sein. Sollte das zutreffen, wäre die Revisionsfirma gemäss Gesetz verpflichtet, umgehend die Bilanz beim Gericht zu deponieren, das dann ein Konkursverfahren eröffnet. Auf eine Anfrage des Beobachters reagiert die Revisionsstelle nicht. Stattdessen schreibt die Itel AG zurück, die Firma sei nicht überschuldet, und es gebe deshalb keine gesetzliche Notwendigkeit, die Bilanz zu deponieren.

Das Thurgauer Betreibungsamt sagt, bisher sei über die Firma noch nie der Konkurs eröffnet worden. Aber: «Es ist korrekt, dass es bereits in der Vergangenheit Konkursandrohungen gab, die Firma ist uns deshalb bekannt.»

Der Chef der Firma Itel findet, wenn er die Firma dichtmachen müsste, hätte niemand etwas davon. «Als sozialer Mensch muss man die Mitarbeiter im Blick behalten, die sich für das Unternehmen einsetzen. Und nicht die, die davongelaufen sind.» 

Doch die Zahl der ehemaligen Mitarbeitenden, die auf ihre Löhne warten, wird immer grösser. Müsste da nicht eine Behörde intervenieren? Das Thurgauer Amt für Wirtschaft und Arbeit winkt ab: Es falle nicht in seine Aufsichtspflicht, die Lohnzahlungen zu kontrollieren. Die Mitarbeitenden müssten ihre Forderungen selbst auf dem zivilrechtlichen Weg geltend machen.

Eine Konventionalstrafe ist möglich

Eine Anlaufstelle haben die Mitarbeitenden aber: Wenn ein Betrieb wie die Itel AG dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellt ist, kann die Zentrale Paritätische Berufskommission Schreinergewerbe intervenieren, wie Geschäftsführer Urs Sager erklärt. «Wenn wir Hinweise erhalten, dass Bestandteile des GAV nicht eingehalten werden, führen wir im Betrieb eine Lohnbuchkontrolle durch.»

Falls sich die Vorwürfe bestätigen, wird der Betrieb aufgefordert, die Löhne innerhalb eines Monats nachzuzahlen. «Zusätzlich erhält er eine Konventionalstrafe. Die Maximalstrafe liegt bei 150’000 Franken.» 

Wurden bei der Itel AG die Lohnbücher kontrolliert?

Hat es bei der Itel AG in der Vergangenheit bereits einmal eine Lohnbuchkontrolle gegeben? Dazu darf Sager aus Datenschutzgründen nichts sagen. Klar ist aber: Auch die Zentrale Paritätische Berufskommission gehört zu den Gläubigern der Itel AG. Im September 2023 betrieb sie die Firma auf 2500 Franken. Handelt es sich beim geforderten Betrag um eine Konventionalstrafe? Auch darüber darf Sager keine Auskunft geben.

Ob ein Arbeitgeber die auf den Lohnausweisen aufgeführten Löhne und Sozialabgaben wirklich zahlt, kann aber auch die Berufskommission nicht überprüfen: «Die Ausgleichskassen, Unfallversicherungen und Pensionskassen geben uns aus Datenschutzgründen keine Auskunft. Das ist ärgerlich, denn es schadet den Mitarbeitern.»

Ex-Mitarbeiter Rafael Sieber vermutet, dass die Angestellten darum so vehement aufgefordert werden, die Lohnabrechnung jeweils im Chefbüro zu unterschreiben. «Dann sieht es bei einer Kontrolle so aus, als hätten wir den Lohnerhalt quittiert.»

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