Stimmt das Wetter, ist auch ihre Stimmung gut. Das hat Mathilde Gremaud stets betont und bewiesen. Und an diesem Dienstag ist das Wetter im georgischen Bakuriani tatsächlich gut, die Bedingungen auch. Ein traumhafter Tag. Der Tag, an dem Mathilde Gremaud WM-Gold im Slopestyle gewinnen will – und wird.
Nach all der wetterbedingten Warterei, «der schlimmsten Qualifikation meines Lebens», wie sie sagt, legt sie los, schwebt, tanzt und springt über Piste und Hindernisse. Alles gelingt.
Der erste Lauf ist eine echte Ansage, ein Statement. Als Qualifikationssiegerin startet sie immer als Letzte, und als die vorletzte Athletin vor ihr stürzt, weiss sie, dass der Sieg ihr gehört. Mit Schweizer Fahne und viel Style fährt sie im zweiten Lauf die letzten Rails und Sprünge runter. Gremaud ist am Ziel. Nach Olympiagold legt die 23-Jährige nun den WM-Titel obendrauf. Wahnsinn!
«Der Erfolg an den Olympischen Spielen hat mir ein wenig den Druck weggenommen. Ich konnte es hier in Georgien richtig geniessen. Ich habe einfach nur Spass», sagt sie überglücklich.
Das Palmarès der Fribourgerin lässt sich sehen: Drei goldene, vier silberne und eine bronzene X-Games-Medaille hängen schon bei ihr zu Hause, dazu ein komplettes Olympia-Medaillenset und nun noch je einmal Silber und Gold an Weltmeisterschaften.
Emotionale Erschöpfung
Gremaud beeindruckt auch die Männer. Sie war die erste Frau, die einen «Switch Double Cork 1440» (rückwärts angefahrener Doppelsalto mit vier Drehungen) stehen konnte. Und dies mit gerade einmal 20 Jahren. Manche Profis können diesen Sprung auch nach Jahren des Trainings noch immer nicht.
Doch Gremaud kennt auch die andere Seite der Medaille. «Emotional erschöpft» sei sie nach ihrem Olympia-Sieg 2022 in Peking gewesen. Eine Gehirnerschütterung kurz vorher und die Anstrengung, um überhaupt an den Spielen teilnehmen zu können, fordern ihren Tribut. Der Titel bringt sie in ein Loch, welches sich über den Sommer bis in die neue Saison erstreckt und die Fribourgerin nach dem Big-Air-Event in Chur zu einer Pause zwingt.
«Ich habe ein wenig Zeit für mich gebraucht – und habe dann auch den Austausch mit meinem Umfeld, meinen Eltern gesucht», sagt Gremaud. Sie habe privat ein paar Dinge angepasst, auch gelernt, besser zu kommunizieren. Einige «coole Gespräche» hätten ihr neue Kraft gegeben.
Und wie! Nach der Auszeit kommt die 23-Jährige zurück und gewinnt Silber im Slopestyle an den X-Games in Aspen. Sie setzt sich ein neues, grosses Ziel: den WM-Titel. Als Vorbereitung auf Georgien fliegt sie mit Freunden in die Ski-Ferien nach Japan: Kopf lüften, Kräfte sammeln, Fokus richten. Genau die richtige Taktik, wie sich herausstellen soll.
«Wir stehen nicht so im Rampenlicht»
Wie sich dieser WM-Titel nun auf ihren Bekanntheitsgrad auswirkt, ist nicht ganz klar. Nach Olympia-Gold in Peking 2022 wurde ihr Erfolg allgemein gewürdigt, gerade auch in der Deutschschweiz. Doch der Trubel legte sich auch schnell wieder. Darüber hat sich Gremaud ein bisschen aufgeregt: «Unsere Sportart steht nicht so im Rampenlicht, mit den Resultaten sollten aber auch die Scheinwerfer kommen», sagt die ehemalige Schülerin des Sportinternats Engelberg, die perfekt Deutsch spricht.
Trotzdem kann sie von ihrer Sportart leben. «Es macht Spass, wenn man mit seiner Leidenschaft Geld verdienen kann. Ich mache das Ganze aber nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil ich es geil finde.» Ausserdem ist sie froh, an Grossanlässen nicht nur Werbung in eigener Sache zu machen, sondern auch für ihre Sportart: «Ich hoffe, unsere Erfolge inspirieren die jüngere Generation.»