Auf Nadine Fähndrich (27) wartet der letzte Akt einer Saison, die märchenhaft begann – und nun abschliessend zum absoluten Thriller wird. Nach einem unglaublichen Höhenflug mit drei Weltcup-Siegen en suite folgte der grosse Frust an der medaillenlosen WM in Planica (Sln). Jetzt steht das Herzschlagfinale an – mit dem allerletzten Weltcup-Sprint des Winters, in dem sich die Eigenthalerin in eine ganz andere Langlauf-Sphäre katapultieren kann.
Bleibt Fähndrich in Lahti (Fi) an der Spitze der Sprint-Wertung, schafft sie ein Kunststück, das in der Schweiz in dieser Sportart nur noch einem gelungen ist: Dario Cologna (37). Der letzten Frühling zurückgetretene Superstar gewann viermal die Distanz-Kugel und holte ebenso viele Male den Gesamtweltcup.
Jetzt hat Fähndrich die Chance, als erste Frau einen derartigen Grosserfolg zu erzielen. Es wäre die Krönung einer sehr guten Saison, die bloss vom verpassten Finaleinzug im WM-Sprint getrübt wird.
Ultraenges Duell mit Dahlqvist
Mit Blick auf den Verlauf ihrer Karriere und die historische Tragweite ist dieser letzte Sprint in Lahti das Rennen ihres Lebens. 22 Punkte Vorsprung weist die Schweizer Teamleaderin vor dem Abschluss-Krimi auf die schwedische Verfolgerin Maja Dahlqvist (28) auf. Die beiden haben sich in den letzten Wochen ein hartes, ultraenges Duell geliefert. Dasselbe ist heute zu erwarten. Denn durch das neue FIS-Punktesystem im Langlauf – mit bloss jeweils fünf Punkten Abstand von den Final-Rängen eins bis sechs (von 100 abwärts) – bleibt es bis zum Ende hochinteressant. Auch, weil es bereits für die ersten zehn Plätze der Qualifikation Zähler zu gewinnen gibt. Und sich Fähndrich oder Dahlqvist schon da in eine gute Ausgangslage für die Sprint-Kugel hieven könnten.
Fähndrich weiss aber auch: Ihre Paradedisziplin ist niemals ein Selbstläufer. In der Hektik kann ein einziger falscher Schritt oder eine blöde Bewegung das ganze Rennen vermasseln. In Toblach (It) im Februar und Drammen (No) vor knapp zwei Wochen hat sie mit Stürzen wichtige Plätze verloren.
«Das ist das Schöne und gleichzeitig das Verflixte am Sprint – es kann alles passieren», sagt auch Laurien van der Graaff (35), Fähndrichs ehemalige Teamkameradin. Das Duo hat 2021 in Oberstdorf (De) im Teamsprint WM-Silber geholt. Jetzt drückt die letztes Jahr zurückgetretene Davoserin aus der Distanz die Daumen. Sie meint: «Ich bin nicht überrascht, dass sie nun in dieser Position ist. Ich wusste, dass sie unglaublich viel Potenzial hat. Es ist sehr eindrücklich, was sie in dieser Saison zeigte.»
«Habe gelernt, meine Emotionen zu kontrollieren»
Fähndrich selbst sagt, sie schiebe den Druck vor dem Abschluss-Krimi von sich weg: «Ich schaue weder auf die Wertung noch auf die Konkurrenz. Ich möchte mich ganz alleine auf meine Leistung konzentrieren.»
Den WM-Sprint stempelt sie als «grosse Enttäuschung» ab, erklärt aber auch, dass sie dieses negative Kapitel schneller abgeschlossen habe, als dies mit ähnlichen Erfahrungen in der Vergangenheit der Fall war: «Ich habe gelernt, wie ich meine Emotionen kontrolliere. Das ist wichtig. Gerade auch in einer Situation wie jetzt, wo es noch um so viel geht.»
Besteht Fähndrich heute den nächsten Psycho-Test, ist es für sie nicht nur eine WM-Wiedergutmachung, sondern auch ein fettes Ausrufezeichen im Schweizer Langlauf-Sport. In Saison eins nach Colognas Rücktritt.