Was haben Schwingen und Biathlon auf den ersten Blick gemeinsam? Zugegebenermassen nicht allzu viel. Beim Biathlon sind extreme Ausdauer und Präzision gefragt. Beim Schwingen Muskelmasse und Schnellkraft.
Und doch werden die beiden Sportarten vom 14. bis 17. Dezember in der Lenzerheide GR vereint. Zum ersten Mal findet dann ein Biathlon-Weltcup in der Schweiz statt. Kaum etwas würde sich zur Schweizer Premiere besser als Gast-Sportart eignen als Schwingen. Und kaum einer wäre als Botschafter geeigneter als Schwingerkönig Christian Stucki (38). Einer, der sportlich fast für alles zu haben ist.
Stucki sprengt die Langlauf-Masse
Und so wagt sich Stucki für Blick aufs Glatteis, oder besser gesagt auf die Loipe, um sich selbst als Biathlet zu versuchen. Wenige Tage vor dem Weltcup trifft Blick Stucki auf dem Gurnigel oberhalb von Riggisberg BE. Ob beim Schwinger verborgenes Talent schlummert? «Davon gehe ich eher nicht aus. Bisher habe ich diesen Sport nur im Fernsehen verfolgt. Das kann ja lustig werden!»
Sämtliches Material für das Experiment aufgetrieben hat Battista Bovisi, der Loipen-Chef des örtlichen Langlaufvereins. Was einfacher gesagt war als getan: «Die Schuhe sind nur Grösse 50, und Stucki hat doch eine 51 … einen grösseren Langlaufschuh habe ich schlicht nicht gefunden», lacht Bovisi beim Zusammentreffen mit dem Schwingerkönig.
Der Schwingerkönig mit dem Hightech-Gewehr
Auf dem Gurnigel könnten die Bedingungen für Stuckis allerersten Biathlon-Versuche nicht besser sein. Die Tannen sind mit einer glitzernden Schicht Neuschnee gepudert, die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Trotzdem ist der Schwinger skeptisch, ob sein Ausflug auf unbekanntem Terrain wirklich eine gute Idee ist. «Ich traue den Langlaufskis nicht. Diese Lättli sind mir einfach zu schmal», erklärt der Berner sein Zögern. Doch es nützt nichts. Unter fachkundiger Anweisung des passionierten Biathleten Leo Ruffieux (70) tastet sich Stucki Schrittchen für Schrittchen auf der perfekt präparierten Loipe vor – und schafft es so einigermassen grazil und ohne Sturz zum Schiessstand.
Dort folgt gleich die nächste Herausforderung. Gerade mal 11,5 Zentimeter beträgt der Durchmesser der Zielscheibe, die in 50 Meter Entfernung steht. Schiessen die Athleten liegend, verkleinert sich das Ziel auf 4,5 Zentimeter. Das Kleinkalibergewehr, mit dem Christian Stucki nun diese Zielscheibe ins Visier nimmt, kostet so viel wie ein gebrauchter Kleinwagen. Es ist genau auf Ruffieux, seinen Besitzer, angepasst. Entsprechend sieht es etwas verkrampft aus, wenn der fast zwei Meter grosse Schwingerkönig nach einer ausführlichen Instruktion das Hightech-Gewehr anlegt.
«Ich ziehe meinen Hut vor diesen Sportlern»
«Das sieht ja aus wie ein Kindergewehr», kommentiert ein vorbeiziehender Langläufer schmunzelnd. Es braucht zwei Versuche, doch dann trifft Stucki die erste schwarze Scheibe. Am Schluss resultierten zwei Treffer aus fünf Schuss. «So, das Ziel des Tages ist erreicht», grinst er. Ganz zufrieden damit, die Langlaufski wieder in die Ecke stellen zu dürfen.
Stucki und Biathlon, das wird vermutlich keine grosse Liebesbeziehung. Zu wackelig steht er auf den schmalen Ski. Dafür ist der Respekt für den Sport und dessen Athleten nach dem Selbstversuch umso grösser.
«Die einzelnen Leistungen im Langlaufen und Schiessen sind schon grossartig. Aber nach einem Langlauf-Sprint noch ein ruhiges Händchen zu haben und mit einem Puls von 160 zu treffen … Chapeau, da ziehe ich wirklich den Hut!» Es sei eine coole Sache, mal so in einen ganz neuen Sport reinzuschnuppern. Beim Weltcup in der Lenzerheide wird er die Langlaufskier aber nicht noch einmal anziehen. Sein Platz wird im Sägemehl sein, um als Botschafter den Biathlon-Fans Schwingen näherzubringen.