Das wars! Eine Olympiamedaille (Bronze am Sprung in Rio 2016), eine WM-Medaille (Sprung-Bronze in Montréal 2017), 6-mal EM-Gold und 37 Schweizermeister-Titel hat Giulia Steingruber (27) in ihrer grossen Kunstturn-Karriere geholt.
Weitere sportliche Glanztaten werden nun nicht mehr folgen: Steingruber hört auf. Am Freitagmorgen tritt die Ostschweizerin in Gossau SG vor die Medien und erklärt ihren Rücktritt. Sie macht damit offiziell, worüber in den letzten Monaten immer wieder spekuliert wurde: Würde Steingruber sich noch einmal motivieren können, die Trainings-Mühen noch einmal auf sich zu nehmen? Womöglich sogar noch einmal einen ganzen Olympia-Zyklus in Angriff zu nehmen? Würde der Körper noch mitmachen, gerade nach den letzten schwierigen und von Verletzungen geprägten Jahren?
Nun ist also die Antwort da, ob es für Steingruber noch einmal einen Anlauf gibt: nein. «Über 20 Jahre durfte ich einen wunderbaren Sport ausüben», sagt sie und schluckt schwer. «Wer hätte gedacht, dass ich drei Olympische Spiele bestreite, dass ich Sportgeschichte schreiben darf? Ich durfte zwölf internationale Meddaillen für die Schweiz holen.»
Verletzungsprobleme und der Tod ihrer Schwester
Doch zuletzt war es hart für Giulia. «Die letzten fünf Jahre waren kräftezehrend und nervenaufreibend. Nach den Spielen 2016 musste ich ein Wechselbad der Gefühle durchleben.»
Der tragische Lungen-Tod ihrer Schwester Désirée (†26) schüttelte sie vor vier Jahren möchtig durch. «Erst musste ich Knochensplitter am Fuss operieren. Dann starb meine Schwester. Ein Jahr später erlitt ich den Kreuzbandriss am Knie. Danach kam die Pandemie – und bei meinem Comeback an der Heim-EM in Basel zog ich mir den Muskelfaserriss im Oberschenkel zu», erklärte sie vor wenigen Monaten im Blick. Die Zeit bis Tokio rannte ihr davon, das geplante Upgrade ihrer Sprünge blieb aus.
Steingruber sagt: «Mein Körper und mein Kopf sind müde»
«Ich war durchgehend in einem Comeback-Modus», sagt sie am Freitag. «Wenn ich die letzten fünf Jahre anschaue, erfüllt es mich mit Stolz, dass ich in Basel an der EM Bronze holen und den Mehrkampf-Final bei den Olympischen Spielen turnen durfte.»
Die Strapazen fordern ihren Tribut: «Mein Körper und mein Kopf sind müde.» Gleichzeitig sagt sie aber auch: «Ich darf mit einem glücklichen Lachen zurückblicken auf das, was ich erreicht habe.»
Schon vor einem Jahr über Rücktritt nachgedacht
Ganz neu waren die Rücktrittsgedanken nicht. «Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt», sagt sie. «Auch letztes Jahr schon. Während der Pandemie war der Gedanke da, konnte mich aber nicht damit abfinden, vor den Olympischen Spielen aufzuhören. Das war ein grosses Ziel von mir. Für mich war es sehr wichtig, das noch einmal zu erleben.»
Die Kunstturnerin Giulia Steingruber gibt es also nicht mehr. Die Sport-Schweiz verliert damit eine der grössten Athletinnen der Geschichte. Wer in einer internationalen Sportart wie Kunstturnen an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften je eine Bronzemedaille holt, ist definitiv eine ganz Grosse. Kaum eine andere Sportart wird auf so vielen Kontinenten so professionell betrieben wie Kunstturnen.
Bei den Olympischen Spielen in Tokio hatte Steingruber den Sprung-Final hauchdünn verpasst: 0,05 Punkte fehlten ihr zum Einzug in die Entscheidung um die Medaillen. Im Mehrkampf-Final erreichte sie den 15. Platz.
Ab 10.30 Uhr im Liveticker und Stream: Tritt Steingruber zurück?