Wenn Pablo Brägger sich zur Ruhe legt, dann macht er das am liebsten in der Badewanne. Das dauert dann so lange, bis der ganze Schaum verschwunden ist. Auf dem rechten Bein kommt da ein Tattoo zum Vorschein, das seine Karriere als Kunstturner in allen Konturen symbolisiert.
Ein Moment für die Ewigkeit war die fabelhafte Vorführung am Reck an der EM vor vier Jahren in Rumänien. Der Gewinn der Goldmedaille war die grosse Genugtuung nach der enttäuschenden EM 2016 in Bern, wo er in seiner Lieblingsdisziplin die Medaillen um einen Platz verpasste.
Diese Woche bietet sich nun in Basel die letzte Gelegenheit, auf heimischen Boden zu brillieren. Allerdings wegen Corona vor leeren Rängen. Das Schutzkonzept lässt keine Zuschauer zu. Für den extrovertierten Ostschweizer mit grossem Fanclub ein Handicap. «Die Kuhglocken werden mir schon fehlen», sagt Brägger. Er hofft aber darauf, dass seine Anhänger virtuell in der Arena über die Displays für Stimmung sorgen. «Ich lass mich da gerne überraschen.»
Auf die Zähne beissen
Die Heim-EM in der St. Jakobshalle bezeichnet Brägger als Generalprobe für Tokio, wo sich der Mehrkämpfer in allen Diszplinen mit einer perfekten Show von der grossen Bühne verabschieden will. «Ich werde noch einmal Vollgas geben – und meine letzten Übungen auch geniessen», sagt Brägger.
Die Olympische Ringe hat er nach Rio 2016 bereits auf der Haut verewigt, für einen japanischen Schriftzug hätte es noch Platz – so genau hat er sich das jedoch noch nicht überlegt.
Klar ist, dass er seinen Körper nach 20 Jahren Karriere nicht mehr mit Kunstturnen strapazieren will. Zu gross sind die Schmerzen. Zu oft zwickt es ihn in der Schulter, viel zu selten darf er dadurch an die Leistungsgrenze. «Ich muss immer wieder auf die Zähne beissen», sagt Brägger, «ich achte deshalb sehr auf meine Gesundheit und versuche, die Entzündungen ohne OP in den Griff zu bekommen.»
In Zukunft will er nicht mehr auf die Zähne beissen und sich dann nach dem Studium als Physiotherapeut vermehrt um andere Körper kümmern.
Von Blase zu Blase
Ein Praktikum in einer Praxis hat er bereits absolviert und die Zeit ohne Wettkämpfe für das anstehende Studium genutzt. Den Lebensmittelpunkt hat er der Partnerin zuliebe während der Pandemie von Magglingen nach Münchwilen in seine Region – mit dem Stützpunkttraining in Wil – verlegt.
Für die Heim-EM und Olympia hat sich der Kompass im Januar trotzdem noch einmal auf das STV-Leistungszentrum gedreht.
Und so geht es diese Woche von der Bubble oberhalb von Biel in die Bubble nach Basel, wo alle EM-Athleten von der Aussenwelt abgeschnitten sein werden. Abgeschottet von der Familie und den Fans – auch für Brägger ein brutaler Einschnitt und ein steriler Abschied vom Spitzensport.
«Die Vorfreude ist trotzdem riesig», sagt Brägger, der aufgrund des Schutzkonzepts nur zwischen Halle und Hotel pendeln darf. Im besten Fall hat sein Zimmer aber eine Badewanne, die ihm nach den Wettkämpfen zusätzlich Wärme spendet.
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