Lange Rad-Touren kennt Kunstturner Pablo Brägger (27) nur vom Hörensagen. «Die grösste im letzten Jahr war 30 Kilometer lang, von zu Hause bis zu meinen Eltern», sagt er lachend. Mehr also nicht. Und das hat seinen Grund. «In meinem Sport brauche ich andere Muskeln, es geht viel mehr um Explosivität als um Ausdauer», so Brägger.
Umso erstaunlicher, dass er heute bei der inoffiziellen «Tour d’Albasini» in Frauenfeld TG an den Start gehen wird. «Es sind in dieser ersten Etappe ja nur 10 Kilometer. Meine Taktik ist, mich im Windschatten zu verstecken und erst am Ende aufzutauchen», so der Reck-Europameister von 2017.
Man merkt: Brägger ist gut aufgelegt. Und gerne bereit, seinen 39-jährigen Ostschweizer Kollegen auf dessen letzter Rundfahrt durch die Schweiz – er tritt Ende Jahr zurück – zu ehren. Brägger findet die von Rad-Profi Stefan Küng (26) initiierte Idee wunderbar. «Leider gibt es für Alba wegen Corona keine richtige Tour de Suisse mehr. Dass er nun mit Wegbegleitern seiner Karriere dennoch die Original-Etappen abfahren wird, ist aber super.»
Kunstturner sagt 2021 tschüss
Brägger wird wie Albasini seine Karriere ebenfalls bald beenden. «2021 ist auch für mich Schluss. Und zwar definitiv», sagt der Mann aus Oberbüren SG. Zwar wird er dann erst 28 Jahre alt sein – im Gegensatz zum Radsport gilt das im Kunstturnen aber bereits als hohes Alter. Entscheidend ist das für Brägger nicht. Er freut sich einfach auf ein neues Leben. «Ich liebe das Kunstturnen und bin nach wie vor mit 100 Prozent bei der Sache. Aber danach schlage ich ein anderes Kapitel auf.»
Wie ernst er es damit meint, macht folgender Plan deutlich: Im Sommer wird er ein zweimonatiges Praktikum im Gesundheitsbereich absolvieren, um nach Olympia mit der Ausbildung zum Physiotherapeuten zu starten. «Wie der menschliche Körper funktioniert – das hat mich schon immer sehr interessiert. Und ich konnte als Profisportler schon einige Erfahrungen sammeln – auch wegen Verletzungen. Das war nicht immer schön, aber stets lehrreich.»
Corona warf Brägger nicht aus der Spur
Zuerst will Brägger nun aber nochmals alles dem Sport unterordnen. «Um auf dem Höhepunkt aufzuhören», wie er ergänzt. Mit der Heim-EM in Basel (21. bis 25. April) und den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August) warten im nächsten Jahr gleich zwei Sport-Feuerwerke auf ihn. «Dann will ich mit den Besten mithalten und das Optimum aus mir herausholen.»
Der Weg dahin stimmt bislang. Brägger fühlt sich gut, ist fit. Selbst die zweimonatige Trainingspause wegen Corona warf ihn nicht aus der Spur. «Ich war zwar nicht in Magglingen in der Halle, schuftete aber zu Hause.» Dabei galt es unter anderem, erfinderisch zu werden. Die Klimmzüge machte er beispielsweise am Türrahmen. «Das war schon witzig. Doch es funktionierte gut.»
«Wir Ostschweizer halten immer zusammen»
Brägger weiss noch nicht, ob er 2020 überhaupt noch Wettkämpfe bestreiten wird. Die jüngst auf Anfang Dezember verschobene Kunstturm-EM in Baku (Aserbaidschan) reizt ihn nur bedingt. «Ich bin noch am Studieren, ob das was für mich ist. Vielleicht starte ich, dann aber nur an einzelnen Geräten. Oder im Team. Man wird sehen», lässt er vieles offen.
Vorerst muss sich Brägger sowieso aufs Radfahren und nicht aufs Kunstturnen einstellen. Er freut sich auf das Intermezzo. «Als ich Alba das erste Mal traf, machte er einen sehr ruhigen Eindruck. Doch wir fanden rasch ins Gespräch, er war sehr interessiert am Kunstturnen und äusserst angenehm. Wenn ich ihm mit meiner Teilnahme am Sonntag eine Freude machen kann, ist das cool. Wir Ostschweizer halten sowieso immer zusammen!»