BLICK: Daniela Ryf, statt in Hawaii zu schwitzen trinken Sie einen Cappuccino in Solothurn. Schön oder brutal?
Daniela Ryf: Schön.
Weil Sie verletzt sind und sowieso nicht hätten starten können?
Nein, das nicht. Die Kapsel- und Bänderverletzung am Knöchel ist zwar lästig, sie hätte mich aber nicht vor einem Start ferngehalten. Da hätte ich mich durchgebissen. Nun erhalte ich die Möglichkeit, die Verletzung auszukurieren.
Zuerst Corona, dann die Absage aller Triathlons – und nun die Verletzung. Ein Seuchenjahr?
Finanziell gesehen habe ich Einbussen, weil ich 2020 kein einziges Rennen bestreite. Aber ich habe keine Existenznot, weil ich auf meine Partner zählen kann. Andere Athleten haben aber keine fixen Sponsoren und sind auf Preisgelder und Prämien angewiesen – für sie ist 2020 katastrophal.
Sie trainieren täglich mehrere Stunden, obwohl keine Rennen stattfinden. Wie motivieren Sie sich?
Da habe ich keine Probleme. Ich weiss, es tönt seltsam, aber wenn ich etwas nicht tun muss, mache ich es umso lieber. Dennoch hat mir die wettkampffreie Zeit auch die Augen geöffnet.
Inwiefern?
Ich habe gemerkt, dass ich etwas neben dem Sport brauche. Etwas für den Kopf. Darum habe ich mein Studium, das ich 2016 auf Eis gelegt hatte, wieder aufgenommen. Erst jetzt habe ich gemerkt, wie sehr mir das gefehlt hat. Ich bin wieder ausgeglichener.
Sie studieren Lebensmitteltechnologie.
Mein Tag hat 14 oder 15 Stunden. Viel geht fürs Training drauf – vor allem, wenn ich nicht verletzt bin. Aber auch so gilt: Ich will nicht nur im Sport, sondern auch in meinem anderen Leben weiterkommen und etwas erreichen. Mein Ziel ist, im Februar fertig zu sein.
Sie sind 33 Jahre alt und vierfache Ironman-Weltmeisterin. Wie schlimm wäre es, wenn kein fünfter Titel mehr dazukäme?
Ich bin an einem Punkt im Leben, wo ich sagen kann: Ich muss keinen einzigen Triathlon mehr gewinnen, um glücklich zu sein. Noch einmal Weltmeisterin zu werden, ist kein Anreiz.
Tatsächlich?
Ich will Rennen zeigen, wo ich Vollgas geben und so gut bin wie nie zuvor – das ist meine Motivation. Wenn jemand besser ist, habe ich damit keine Probleme.
In den USA heisst es häufig: Nur der Sieg zählt!
Ich bin keine Amerikanerin, sondern Schweizerin (schmunzelt). Hawaii zu gewinnen, ist fantastisch und von Aussen betrachtet das Grösste. Ich freue mich aber genauso, wenn ich in Roth oder Rapperswil gute Wettkämpfe zeige.
Wäre es Ihnen egal, künftig nicht mehr die Beste zu sein?
Wenn mir der Sport Spass macht, ja. Ich tu das alles ja nicht für andere, sondern für mich.
Roger Federer wird kritisiert, weil er nicht mehr dominiert.
Aber was ist das für eine Message? Wenn du nur etwas machst, weil du sicher bist, dass du gewinnst, kannst du es auch lassen. Leute, die Federer dafür kritisieren, dass er weitermacht, haben wohl selbst nicht viel im Leben erreicht.
Das ärgert Sie gewaltig.
Ich finde es eine Frechheit, wenn Leute Federer als Loser bezeichnen. Erstens ist er immer noch sehr erfolgreich und zweitens kann er sein Leben so führen, wie er es will.