Von den vier Paris-Halbfinalisten ist Diego Schwartzman nicht nur derjenige mit dem kleinsten Palmarès, sondern mit 1,70 Metern auch physisch der kleinste.
Das kümmert ihn wenig. «Ich habe grössere Probleme, als zehn Zentimeter kleiner zu sein als alle anderen», sagt der Argentinier. «Schliesslich gibt es viele Gründe, weshalb ich gar nicht hier sein sollte. Diese haben aber nichts mit meiner Grösse zu tun.»
Schwartzman bezieht sich damit auf seine bewegte Familiengeschichte. Vor Diegos Geburt verdienten die Schwarztmans mit einer Kleider- und einer Schmuckfabrik ein Vermögen – nur um in den 90ern alles zu verlieren. «Argentiniens Regierung beschränkte die Importe. So ging meinen Eltern das Material aus und sie konnten nichts mehr produzieren», erinnert sich Schwartzman.
In einem Bett mit der Mutter
Der Familie ging es so schlecht, dass sie nicht einmal für Diegos Tennis-Stunden aufkommen konnte. Auch später, als andere Junioren längst einen eigenen Trainer hatten, wurde er noch von seiner Mutter an die Turniere begleitet. «Wir teilten uns sogar das Hotelbett, weil wir uns nicht mehr leisten konnten. Und an einem Turnier verkauften wir Gummiarmbänder, um die Reise zu finanzieren», verrät Schwartzman in einem Portrait der ATP-Tour.
Das Schicksal seiner Eltern ist aber nichts im Vergleich dazu, was ihre Vorfahren durchmachen mussten. Diegos Urgrossvater mütterlicherseits lebte als Jude zur Zeit des Nationalsozialimus in Polen. Nur durch ein Wunder entkam er dem Konzentrationslager. «Er war bereits im Zug unterwegs Richtung KZ, als zwischen zwei Waggons die Kupplung brach», erzählt Diego Schwartzman. Also rannte Urgrossvater Schwartzman um sein Leben und flüchtete auf einem Schiff nach Argentinien – ohne ein Wort Spanisch zu sprechen.
«Kann mich glücklich schätzen»
«Wenn ich sehe, wie mein Urgrossvater aus einem Zug dem Holocaust entkam, ich mit meiner Mutter in schäbigen Hotels abstieg und Armbänder verkaufen musste, kann ich mich wirklich glücklich schätzen», gibt sich der 28-Jährige demütig. An diese schwierigen Zeiten denkt er inzwischen kaum noch. «Schliesslich bin ich trotzdem Profi geworden. Ich habe nie an mir gezweifelt, auch wenn die Chancen schlecht standen.»
Nur geringe Chancen werden Schwartzman auch im Halbfinal attestiert. Schliesslich ist sein Gegner kein geringerer als der 12-fache Champion Rafael Nadal, der 98 von 100 Partien in Roland Garros gewonnen hat. Aber aufgepasst: Das letzte Duell der beiden ging vor einem Monat in Rom an den Argentinier. Und aus seiner bewegten Familiengeschichte würde selbst ein Paris-Erfolg gegen Nadal nicht mehr herausstechen. (cmü)