«Ich freue mich extrem, die Atmosphäre in einer zweiten Woche einmal zu erleben», sagt Viktorija Golubic. Es klingt wie die aufgeregte Vorfreude einer Newcomerin, die die grosse weite Welt entdeckt. Doch das ist die 28-jährige Zürcherin keineswegs. Dies ist ihr 18. Grand Slam in fünf Jahren.
Bis hierhin hatte Golubic aber nur vier Matches gewonnen, kam nie in den Genuss von mehr Ruhe statt Turnier-Rummel, grosser Showplätze und privilegierter Behandlung, wie sie nur die besten 16 an einem der vier grossen Tennis-Events zukommen. Die Chancen am Montag (ca. 14 Uhr, SRF 2) im Achtelfinal gegen Madison Keys (USA, WTA 27) stehen etwa fifty-fifty: Die Bilanz gegen die US-Open-Finalistin von 2017 lautet 1:1. Aber Golubic gewann das letzte Duell beim Fed Cup vor zwei Jahren deutlich.
Und Vicky fühlt sich vor ihrem grossen Tag im Hoch. Nach einem Dreisatz-Auftaktsieg gönnte sie ihren beiden letzten Gegnerinnen total nur fünf Games. Mit ihrem Lauf steigt sie, die durch Verletzungen und Corona-Motivationskrise als Weltnummer 138 Anfang Jahr eine Art Neustart hinlegte, wieder auf Platz 60, ein Viertelfinaleinzug brächte sie gar erstmals in die Top 50.
Warum so spät, Vicky? Sie sei schon immer eine Spätzünderin, als Teenagerin unterentwickelt gewesen. Ein Kraftprotz ist die 1,69 m grosse, zierliche Frau heute noch nicht. Aber die Power, die sie mit ihrem Markenzeichen, der einhändigen Rückhand, erzeugt, ist toll. «Für meinen Spieltyp brauchte ich wohl mehr Zeit, bis alle Puzzleteile stimmten», sagt Golubic.
Haben Secondos mehr Biss?
Ein weiterer Grund für den späten Durchbruch könnte auch die Herkunft der jüngsten Tochter von vier Kindern eines kroatischen Schreiners und einer serbischen Krankenschwester sein. «Ich habe Balkanwurzeln, Secondos sind vielleicht zielstrebiger, haben mehr Biss», sagte sie einst. Finanziell war ihre Familie nicht in Rosen gebettet. Vicky hatte das Glück, in Bassersdorf gratis bei ihrem Jugendcoach Csaba Nagy trainieren zu dürfen. Später verlegte sie ihre Trainingsbasis ins deutsche Kerpen bei Köln, wo es günstiger war als in der Schweiz.
Heute kann sie sich die Basis in ihrer Heimat leisten. Sogar mit einem Vollzeitcoach, der neben ihrer Schwester Natalija mit um die Welt reist. Einige Zeit lang war dies Philipp Wallbank, der gleichzeitig ihre grosse Liebe ist. Nun kümmert sich der 45-Jährige um den Nachwuchs bei Swiss Tennis – und seine Freundin findet beruflich mit dem früheren Davis-Cup-Spieler Dominik Utzinger zum Erfolg.
Er sei ein weiteres passendes Teil im Golubic-Puzzle, sagt die Frau, die niemals ausgelernt haben will. «Seine aufbauende Art gibt mir extreme Ruhe in diesem Tour-Leben, wo man sich schnell verlieren kann.» Aber nun steht sie ja in der ruhigeren Woche 2 von Wimbledon – da finden sich die Puzzlestücke eh leichter.