Auf einen Blick
- Ex-Tennisprofi Alexandr Dolgopolow kämpft seit drei Jahren an der ukrainischen Front
- Dolgopolow fungiert als Drohnenpilot und überlebte einen Angriff mit Mörsergranaten
- Der 36-Jährige wäre lieber tot als ernsthaft verwundet
Am kommenden Montag jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zum dritten Mal. Seither an der Front: der ukrainische Ex-Tennis-Profi Alexandr Dolgopolow (36). Im «Spiegel»-Interview spricht er ausführlich über sein neues Leben und berichtet: «Hoffnung? Davon habe ich wenig übrig.»
Als der Angriff auf sein Heimatland anfing, habe die frühere Weltnummer 13 nicht lange überlegen müssen, dass er Militärdienst leisten will: «Mein Gewissen trieb mich, sagte mir: Du musst das jetzt tun.» Ahnung von Waffen habe er allerdings keine gehabt.
«Meine Familie machte sich grosse Sorgen und versuchte, mir die Pläne auszureden. Aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ist es schwer, mich davon abzubringen», erzählt der dreifache ATP-Turniersieger. Er sei nervös gewesen, auch er hatte Bedenken – doch es gab kein Zurück mehr.
Ex-Tennis-Profi überlebte Angriff
In den fast drei Jahren an der Front hat Drohnenpilot Dolgopolow viel erlebt. Kameraden, die bei Bombardierungen Körperteile verlieren. Über Videoaufnahmen seiner Fluggeräte habe er Leute sterben sehen. Und einmal habe er selbst beinahe sein Leben gelassen. «Wir hatten eine Scheissangst», erinnert er sich.
Im Spätsommer 2023 seien er und seine Kameraden für Drohnenaufnahmen unterwegs gewesen, als sie von russischen Streitkräften mit Mörsergranaten beschossen wurden. «Wir sprangen in einen Schützengraben, aber die Einschläge kamen immer näher und rüttelten uns heftig durch.» Nach 20 Einschlägen sei die Attacke vorbei gewesen.
Ganz unversehrt blieb Dolgopolow nicht. Eine Gehirnerschütterung, Kopf- und Ohrenschmerzen führten zu einer Woche im Spital. Doch mit diesem Schicksal hat der 2021 zurückgetretene Tennisspieler gelernt zu leben: «Dass ich im Einsatz verletzt werden oder sogar sterben könnte, war mir klar, bevor ich mich verpflichtet habe.» Und er sagt: «Ehrlicherweise habe ich grössere Angst, verletzt zu werden und ein Leben als Invalide führen zu müssen. Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich lieber tot.» Sein Nachlass sei bereits geregelt.
«Ich will nur überleben»
Tennis habe ihn auf den Krieg vorbereitet: «Man muss schnell reagieren, sich konzentrieren und rasch auf neue Situationen einstellen können.» Doch er sei jetzt ein anderer Mensch. Er sei ernster, aggressiver und habe seine Unbeschwertheit verloren: «Ob sie je zurückkommt, weiss ich nicht.»
Pläne für die Zukunft mache er nicht, er lebt von Tag zu Tag: «Im Moment will ich nur überleben. Ich wünsche mir nichts mehr als Frieden.»