Von der Dramatik her wird Novak Djokovics sechster Wimbledon-Sieg gegen Matteo Berretini (6:7, 6:4, 6:4, 6:3) dem Tennis-Fan nicht ewig in Erinnerung bleiben. Keine Spur von der unglaublichen Spannung im Jahr 2019, als der Serbe gegen den ebenbürtigen Roger Federer erst zwei Matchbälle abwehren musste.
Der diesjährige Final widerspiegelt die derzeitige Dominanz des «Djokers», der im ganzen Turnier nur zwei Sätze abgab – in Runde 1 und gegen Berrettini, jeweils zu Beginn der Matches. «Da spürte ich definitiv meine Nerven», erklärt der Mann, der Geschichte schreibt. «Aber danach fühlte ich mich befreit, hatte die Dinge immer mehr unter Kontrolle.»
Es sei diese Fähigkeit, mit Druck umzugehen, die ihn am meisten stolz mache. «Alles kommt bei mir zusammen, was in den letzten Jahren geschehen ist.» Auf dem Platz sei das Spiel ein konstanter Kampf, im Kopf im Hier und Jetzt zu bleiben. «Die Gedanken führen dich oft zu vergangenen Punkten, oder du denkst über die nächste Chance nach. Dabei auf den Moment fokussiert zu bleiben, ist die grosse Herausforderung.»
Historische Chance an den US Open
Er sei oft genug daran gescheitert, habe immer wieder versagt und Fehler gemacht. «Aber ich habe daraus gelernt. Je mehr Erfahrungen du machst, desto mehr gewöhnst du dich an dich selbst, kennst deine eigenen Muster. Das alles macht mich heute kompletter denn je. Ich sage ja immer: Das Alter ist nur eine Zahl.»
In seinem 35. Lebensjahr bietet sich 2021 denn auch die nächste historische Chance: nämlich als erst dritter Spieler nach Donald Budge und Rod Laver (2x) alle vier Grand Slams in derselben Saison zu gewinnen. Nach den Australian Open, den French Open und nun Wimbledon will Djokovic auch bei den US Open (ab 30. August) zuschlagen.
Federer beglückwünscht Djokovic
Ob er auf bestem Wege sei, «the GOAT», der Grösste aller Zeiten zu werden, wird er in der Sieger-Pressekonferenz gefragt. Antwort Djokovic: «Ich denke, ich bin der Beste und glaube daran – sonst würde ich keine Rekorde brechen. Aber als Bester aller Zeiten sehe ich mich nicht. Die Bedingungen für die Spieler haben sich in den letzten 50 Jahren sehr verändert und man kann die heutige Technologie nicht mehr mit früher vergleichen. Aber nur schon mit Roger und Rafa dazuzugehören, ist eine grosse Ehre.»
Lässt Djokovic Olympia aus?
Erst seit zwei, drei Jahren habe er daran geglaubt. «Die Wochen als Nummer 1 waren lange mein primäres Ziel. Dass ich nun in der gleichen Epoche mit den Grand-Slam-Siegen nachziehe, ist mehr, als ich je erträumt habe.»
In Japan (ab 24. Juli) könnte Djokovic sogar den «Golden Slam» realisieren, der bislang nur der deutschen Tennis-Ikone Steffi Graf gelang (1988). Ob olympisches Gold hinzukommen wird, ist beim Serben aber fraglicher als auch schon. Seit er weiss, dass in Tokio keine Zuschauer zugelassen und die Spieler extremen Restriktionen ausgesetzt sind, zweifelt auch er, ob er nach Japan reist. «Das war eine sehr enttäuschende Nachricht in den letzten Tagen», so Djokovic. «Zuvor war ich Feuer und Flamme. Jetzt bin ich gespalten, ob ich gehe.»