Blick: Trotz Federers Rücktritt hat das Schweizer Tennis-Jahr mit dem Triumph in Glasgow versöhnlich geendet.
Heinz Günthardt: Besser kann das Schweizer Tennis-Jahr nicht enden. Der Sieg beim Billie Jean King Cup mit der Schweizer Mannschaft ist ganz besonders. Für eine Individual-Sportlerin ist das gemeinsame Gewinnen nochmals eine andere Dimension. Das zeigt auch, dass wir nicht nur eine starke Spielerin haben, sondern mehrere, die auch auf Weltniveau spielen. Keine Frage: Dass Federer – der den Sport so geprägt hat – definitiv zurückgetreten ist, ist ein riesiges und emotionales Ereignis. Dass zudem bei den Frauen mit Serena eine ähnliche Person zurückgetreten ist, kam es als eine kleine Rücktrittswelle und ein Ende einer Epoche daher. Das ist definitiv einschneidend.
Das Schweizer Tennis ist auch in den kommenden Jahren in guten Händen.
Einen Jahrhundertsportler wie Roger Federer gibts definitionsgemäss alle hundert Jahre. Das heisst, wir müssen noch etwas warten. So viele junge Leute mit Potenzial unter den Top 200 zu haben, verheisst für eine kleine Nation einiges. Wir haben mehrere, die das Zeug dazu haben, nicht nur unter den ersten 100 zu kommen, sondern sich nachher vorne zu etablieren. Und vielleicht auch permanent in den Grand Slams im Hauptfeld mitzuspielen. Hüsler ist schon unter den besten 60 und dann gibts noch zwei, drei, die auch dort hinkommen könnten. Ich bin da optimistisch, dass die Schweiz bei Majors weiter eine Rolle spielen werden und nicht zuletzt beim Davis Cup.
Der internationale Generationenwechsel ist da – Djokovic und Nadal aber auch noch.
Es ist unglaublich, was sie wieder leisten. Einer der grössten Efforts, den ich je gesehen habe, ist Nadal im Final der Australian Open, als er 0:2 Sätze gegen Medwedew zurückliegt und das noch dreht – in seinem Alter und trotz der grossen Pause davor. Unglaublich! Bei Djokovic darf man nicht vergessen, dass er aus politischen Gründen ein schwieriges Jahr hatte. Dort, wo er antreten konnte, war er enorm erfolgreich. Das, was man viele Jahre erwartet hat, kommt jetzt aber in Bewegung. Es ist nicht die Generation nach den «Big 3», sondern etwa die vierte nach ihnen. Sie sägen jetzt am Thron. Alcaraz, Rune, Ruud, Auger-Aliassime – da gibts viele, die nach vorne drängen. Bei den grossen Turnieren musst du aber an Nadal und Djokovic vorbei. Das zeigt, wie gut sie sind und auch wie hoch das Niveau von Roger war. Es ist eine grosse Leistung, das Level so zu halten und zeigt, was für Tennis über die letzten 15 Jahre gespielt wurde.
Bei der neuen Generation braut sich eine neue «Big X» zusammen.
Was man oft gesehen hat, ist, dass plötzlich in gewissen Jahrgängen mehrere Ausnahmesportler zusammenkommen. Um dort vorne mitspielen zu können, muss man ein Ausnahmesportler sein. Viele Jahre gab es bei den Generationen einfach keinen. Sie waren gut, aber etwas hat gefehlt. Sei es die Motivation, Verletzungen oder andere Gründe. Jetzt ist es so, dass sich diese Generation gegenseitig pusht. Sie schauen bei den anderen, was sie machen und holen so die letzten Prozentpunkte aus sich heraus. Bei Djokovic, Nadal und Murray war es auch so.
Iga Swiatek ist auf der Frauen-Tour die einzige Konstante.
Wenn Iga Swiatek gut spielt, ist sie auf einem anderen Niveau – vor allem auf Sand. Danach kommen viele, die sehr gut Tennis spielen, sich aber nicht unbedingt abheben. Das ist für viele auch eine Chance, grosse Titel zu gewinnen. Und da gehören durchaus auch Schweizerinnen dazu, die das auch sehen. Eine Belinda Bencic kann sich da fragen: «Warum nicht ich?» Die Frage ist, was man damit macht. Ob man sich davon unter Druck setzen lässt und vielleicht hie und da zu verkrampft spielt oder es einen beflügelt.