Andrea Petkovic war jahrelang eines der deutschen Aushängeschilder im Tennis – sie gewann sieben WTA-Titel und schaffte es zweimal in die Top 10 der Weltrangliste. Daneben erlangte die Darmstadterin mit bosnischen Wurzeln rasch den Ruf der «Tennis-Intellektuellen», auch wenn sie selbst keinen Gefallen daran findet. Ihre Liebe zur Literatur zeigte sich bereits in ihren Kolumnen und Essays, die sie in verschiedenen deutschen Medien veröffentlichte. Nach «Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht» hat sie nun ihr zweites Buch vorgestellt. Blick traf die 36-jährige Autorin und TV-Expertin im Rahmen einer Lesung im Uhren-Atelier von Maurice de Mauriac in Zürich.
Blick: Andrea Petkovic, Sie stiegen im Vorjahr für «Das Duell um die Welt» von Joko und Klaas in die laut der Sendung «engste Höhle Europas» hinunter – und trieben dabei jedem Klaustrophoben den Angstschweiss auf die Stirn. Was hat Sie da geritten?
Andrea Petkovic: (Lacht.) Nun, als ich angefragt wurde, habe ich erstmal zurückgefragt, worum es denn genau gehen würde. Dann hiess es: Wir gehen in eine Höhle in Yorkshire. Und ich dachte so: Cool, ich war noch nie in einer. Also habe ich da mitgemacht. Viele Leute kamen daraufhin auf mich zu und meinten: Wie konntest du das nur machen? Doch für mich war das ganz okay. Mit meiner Höhenangst hätte ich beispielsweise viel mehr zu kämpfen gehabt. Also war es für mich im Grossen und Ganzen eine coole Erfahrung. Schlimm war eher etwas anderes.
Was denn?
Am Schluss des Videobeitrags sieht man, wie sich die Höhle aufgrund des Regens mit Wasser füllt. Das war nicht inszeniert. Da waren wir alle nervös, schafften es aber zum Glück noch rechtzeitig raus.
Sie sagten einmal, dass Sie nach Ihrem Rücktritt 2022 einfach zu jeder Anfrage «Ja» gesagt hätten. War das Teil Ihrer Selbsttherapie, um nicht in ein Loch zu fallen?
Ja, «Das Duell um die Welt» gehörte tatsächlich dazu. Ich wollte auf jeden Fall beschäftigt sein und eine allzu grosse Leere vermeiden. Und ich wollte mich auch ein wenig ausprobieren. Einfach mal herausfinden, was mir liegt und was nicht.
Apropos Selbsttherapie. Sie beschreiben in Ihrem neuen und bereits zweiten Buch, «Zeit, sich aus dem Staub zu machen», den Ausstieg aus dem Profisport. Hat Sie das Schreiben geheilt?
Ich glaube schon, dass es den Prozess einfacher gemacht hat, weil man ja meistens in seinem eigenen Kopf und dem Chaos an Gedanken feststeckt. Das Schreiben gibt diesbezüglich Ordnung. Und ich habe auch gemerkt, dass es mir geholfen hat, ein bisschen rationaler auf meinen Körper zu schauen, um dann festzustellen: Es geht einfach nicht mehr weiter. Denn es gab am Ende meiner Karriere Tage, an denen ich dachte, ich sei schon viel zu alt und zu schlecht, und wiederum andere, an denen ich nochmals alles versuchen wollte. Das Schreiben schenkte mir hierbei Klarheit.
Peter Sagan, einer der Grossen des Radsports, hat kürzlich gesagt, er vermisse «gar nichts» von den Strassenrennen.
Gar nichts?
Ja, offenbar wirklich gar nichts. Wie viel vermissen Sie vom Tennissport?
Bei mir ist es anders. Die Matches und der Wettkampf an sich fehlen mir total. Was aber interessant ist: Nach meinem Rücktritt habe ich zunächst noch sehr gerne trainiert. Das war aber nach einem Monat bereits komplett weg. Ich konnte mir schon nach diesem einen Monat nicht mehr vorstellen, dass ich jemals vier Stunden am Tag Tennis gespielt und dazu noch Fitness- und Präventionsübungen gemacht habe. Das vermisse ich definitiv nicht. Dafür aber die grossen Spiele, die grossen Plätze, die Emotionen, die Spannung. Und das Siegen natürlich.
Was fühlt sich besser an: Ein eigenes Buch in der Hand zu halten oder ein Turniersieg?
Ein Turniersieg fühlt sich im Moment besser an. Man ist euphorischer, dafür geht das Gefühl des Triumphs auch ganz schnell wieder vorbei, weil ja bereits das nächste Turnier ansteht. Bei einem Buch hingegen gibts im direkten Vergleich den Vorteil, dass es sich für längere Zeit gut anfühlt. Man kann immer wieder nach ihm greifen. Es gibt einem dieses Gefühl der Zufriedenheit.
Sie werden als «Tennis-Intellektuelle» bezeichnet. Was macht das mit Ihnen?
Meistens nervt es mich ein bisschen. Gar nicht, weil ich es nicht mag, als intellektuell bezeichnet zu werden. Aber erstens fühle ich mich nicht wirklich so. Ich würde mich eher als sehr emotional beschreiben – ohne den Intellektuellen jetzt zu unterstellen, dass sie das nicht sein könnten. Und zweitens kommt es für mich so rüber, als würde man andere Tennis-Profis damit irgendwie herabsetzen. Als hätten sie noch nie in ihrem Leben ein Buch gelesen oder sich für etwas anderes interessiert. Dabei …
… ja?
Ich kann bezeugen, dass die Tennis-Welt ein ganz normaler Querschnitt der Gesellschaft ist. Einige interessieren sich für Kunst, andere spielen Videospiele. Die einen mögen Shopping, die anderen lesen gerne.
Um trotzdem bei diesem Begriff zu bleiben: Reift mit der Weltranglistenersten Iga Swiatek, die ebenfalls eine grosse Bücherverschlingerin ist und ausserdem mit ihrer Eloquenz besticht, die nächste Tennis-Intellektuelle heran?
Auf jeden Fall wird sie bestimmt so abgestempelt werden, wenn sie weiterhin so viel liest. Und sie verschlingt ja wirklich diese dicken Riesenschmöker. (Schmunzelt.) Nein, im Ernst: Ich mag Iga sehr gerne als Weltnummer eins. Sie ist zwar schüchtern und introvertiert, aber das hält sie nicht davon ab, trotzdem ihre Stimme zu erheben, wenn sie irgendwo Unrecht sieht oder ihre Meinung kundtun möchte. Sie nimmt diese wichtige Rolle an. Man merkt, dass sie die Tradition und Geschichte des Tennissports kennt und weiss, dass von ihr als Nummer eins noch andere Sachen erwartet werden als nur gut Tennis zu spielen. Und ausserdem mag ich die Rivalität zu Aryna Sabalenka, Coco Gauff und Elena Rybakina, die sich langsam entwickelt.
Swiatek hat sich auch in die Preisgeld-Diskussion auf der Frauen-Tour eingeschaltet. Einige Turniere schütten bereits gleich viele Prämien für die Frauen aus wie für die Männer – aber noch nicht alle. Wo steht das Frauen-Tennis gerade?
Es ist schön, dass wir bei den Grand-Slam-Turnieren die gleichen Preisgelder haben. Ich glaube aber, dass die Spielerinnen am Ende mehr profitieren würden, wenn wir auf der WTA-Tour ein Gleichgewicht zu den Männern hätten. Denn jene Wettkämpfe machen schliesslich rund 80 Prozent des Jahres aus. Und ich denke auch, dass es als Allererstes grundsätzlich mehr Turniere bräuchte. Es kann nicht sein, dass beispielsweise in Dubai eine Weltnummer 40 für 1000 Dollar in der Quali spielen muss. Die hat einen Trainer und einen Physio dabei – wenn sie dann in der ersten Runde rausfliegt, verzeichnet sie direkt ein Minus von 10’000 Euro. Zudem nehmen sich die Frauen bei den grösseren Turnieren gegenseitig das Preisgeld weg – weil einfach alle Guten da sind. Bei den Männern hingegen ist die Auswahl viel grösser. Da gibts gleichzeitig mehrere Challenger-Events, womit sich auch die Spieler gut verteilen können.
Die WTA-Finals sollen in Saudi-Arabien stattfinden, Rafael Nadal ist bereits Botschafter des Landes – und die ATP hat mit dem saudischen Staatsfonds PIF eine Partnerschaft abgeschlossen. Was halten Sie von der Saudi-Offensive?
Ich glaube, sie lässt sich nicht vermeiden. Es werden schwere Diskussionen darüber ausbrechen, was die richtige Vorgehensweise ist. Einerseits möchte man gerade das Preisgeld auf der Frauen-Seite aufbessern. Andererseits muss man sich auch fragen, ob man solch einen Partner im Boot haben möchte. Ich bin gespannt, zu welchen Schlüssen man kommen wird. Gleichzeitig bin ich aber auch – ganz ehrlich – froh, die Entscheidung nicht mittragen zu müssen.
US-Spielerin Jessica Pegula sagte im letzten Jahr, sie fände die WTA-Finals in Saudi-Arabien dann okay, wenn man im Land auch wirklich «einen Wandel herbeiführen» könne. Sehen Sie dies als realistisch an?
Nun, diese Diskussion gab es ja schon einmal, als die Turniere in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate, d. Red.) und Doha (Katar) aufkamen. Als die WTA erstmals nach Doha ging, durften die Frauen dort noch nicht einmal Auto fahren. Das war vor über 10 Jahren. Und da hat sich mittlerweile einiges verändert. Nicht wegen uns Tennisspielerinnen, doch man hat eine Entwicklung beobachten können. Und trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, dass diese Debatte weiterhin geführt wird.
An den US Open 2022 war Ihre allerletzte Gegnerin Belinda Bencic, die sich nun in ihrer Babypause befindet – und sich in eine prominente Liste von Tennis-Mamis einreihen wird. Gelingt Bencic als Mutter die grosse Grand-Slam-Erlösung?
Ich glaube, dass Belinda sehr stark zurückkommen wird. Der Grund, warum ich das sage, ist: Weil ich sehr oft gegen sie gespielt und sehr oft mit ihr trainiert habe. Ich meine, sie ganz okay zu kennen. Nicht als Person natürlich, aber als Tennisspielerin. Und ich glaube, dass ihr oft ihre Nervosität im Weg gestanden hat – und dass das Tennis absolut gar kein Problem darstellt.
Wie meinen Sie das?
Wenn Sie mich fragen würden: Kann Belinda ein Grand-Slam-Turnier gewinnen? Dann würde ich sagen: Ja, nicht eins, sondern vielleicht sogar sechs. Denn das ist die Qualität, die sie hat. Ich habe gegen die Besten der Welt gespielt. Und ich weiss, dass Belinda, wenn sie gut spielt, auf dem gleichen Level ist. Aber sie war immer sehr hart mit sich selbst. Und sehr perfektionistisch. Doch man hat nun zuletzt bei anderen Müttern wie Elina Switolina, Caroline Wozniacki oder ein bisschen auch bei Angelique Kerber gesehen, dass sie sich verändert haben.
Inwiefern?
Sie wurden alle ein wenig weicher und sanfter mit sich selbst. Es gibt jetzt etwas, das wichtiger ist als die Tennis-Erfolge. Ich kann da nicht aus eigener Erfahrung sprechen, doch es ist das, was ich schon oft bei Kolleginnen beobachten konnte. Ich würde Belinda auf jeden Fall einen solchen Titel gönnen, weil sie ihn sich wirklich verdient hätte.