Der Zermatter OK-Chef Franz Julen hat sich innerhalb von drei Tagen von einem überglücklichen Menschen in einen gebrochenen Mann verwandelt. Nach dem Training am Mittwoch frohlockte der 65-Jährige: «Jetzt haben wir der ganzen Ski-Welt bewiesen, dass man in Zermatt um diese Jahreszeit bei besten Bedingungen eine Abfahrt durchführen kann!»
Aber dann hat sich das Wetter eben doch so entwickelt, wie es die zahlreichen Kritiker von diesem Projekt für den November in der Matterhorn-Region prophezeit haben: Die Trainingsläufe am Donnerstag und Freitag mussten wegen Schneefall und ungenügender Sicht gestrichen werden. Und weil sich in der Nacht auf Samstag auch noch heftige Windböen zum Schneefall gesellten, wurde die erste Abfahrt bereits in den frühen Morgenstunden von FIS-Renndirektor Markus Waldner abgesagt.
«Das ist ein harter Entscheid – mein Herz blutet», verkündet Julen mit weinerlicher Stimme. Der Entscheid tut deshalb besonders weh, weil nur ein paar Stunden nach der Absage die komplette Piste von der Sonne überflutet wurde.
«Die Piste hat sich negativ entwickelt»
Aber Waldner hat dennoch zu 100 Prozent richtig entschieden – die Pisten-Crew war chancenlos, den Neuschnee rechtzeitig aus der Piste zu bringen. Österreichs Abfahrts-Coach Sepp Brunner spricht noch ein anderes Problem an: «In den letzten Tagen wurden die schweren Maschinen eingesetzt, um den Neuschnee aus der Piste herauszubekommen. Dadurch ist ein Abschnitt im Steilhang kaputtgegangen.»
ÖSV-Cheftrainer Marko Pfeifer bläst ins selbe Horn: «Nach dem tollen Mittwoch-Training hat sich die Piste derart negativ entwickelt, dass es auch bei gutem Wetter schwierig wird, ein Rennen durchzuführen.» Aufgrund von dieser aussichtslos anmutenden Situation haben am Samstagmorgen diverse Teamchefs die sofortige Absage für das am Sonntag geplante Rennen gefordert, damit die Athleten vorzeitig die Heimreise antreten können.
Doch dieser Antrag wurde von der Rennleitung abgelehnt. Die Chance, dass es an diesem Wochenende doch noch klappt mit der Weltcup-Premiere auf der «Gran Becca», ist klein, zumal die Meteorologen vierzig Zentimeter Neuschnee ankündigen. Doch alle Hoffnung ist vergebens: In den frühen Morgenstunden erfolgte am Sonntag dann auch die Absage des zweiten Rennens.
«Die Chance ist sehr klein»
Somit muss die Frage gestellt werden, ob der Speed-Auftakt in Zermatt-Cervinia überhaupt eine Zukunft hat? Markus Waldner hat bereits angekündigt, dass sich die FIS-Führung nach den für nächste Woche geplanten Frauenrennen noch einmal mit dem OK zusammensetzen und über alles reden müsse.
Marc Berthod hat sich lange ausschliesslich positiv über die Matterhorn-Abfahrt geäussert. Doch jetzt äussert auch der zweifache Adelboden-Sieger, der die «Gran Becca» am Mittwoch als SRF-Kamerafahrer als Erster befahren durfte, Zweifel an der Sinnhaftigkeit von diesem November-Rennen. «Die letzten Tage haben leider gezeigt, dass die Chance um diese Jahreszeit sehr klein ist, dass das Wetter am Matterhorn ein Rennen zulässt. Und deshalb muss man sich wirklich sehr ernsthaft die Frage stellen, ob sich dieser gigantische Aufwand für diese kleine Chance lohnt.»
«Das wäre ein starkes Zeichen für den Umweltschutz»
Berthod plädiert dafür, dass die Zweiländer-Abfahrt im FIS-Kalender vom November in den März verschoben wird. «Im März liegt in dieser Gegend genügend Naturschnee und das Wetter ist erfahrungsgemäss sehr viel stabiler als im November. Und weil man dann auch nicht mehr wie im letzten Sommer 300'000 Kubikmeter Kunstschnee für die Rennstrecke einlagern müsste, würden die Veranstalter auch ein deutliches Zeichen für den Umweltschutz setzen.»
OK-Chef Julen hat sich aber bereits im Oktober im Gespräch mit Blick gegen Matterhorn-Rennen zum Saisonende ausgesprochen. «Keiner von unseren Sponsoren hatte Interesse an einer Weltcup-Veranstaltung im Frühling. Um diese Jahreszeit wollen diese Firmen ihr Geld logischerweise in die Sommersportarten investieren.»
Dieses Argument lässt Berthod aber nicht gelten: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass Firmen, die im Zusammenhang mit dem Umweltschutz stehen, für ein Sponsoring der Matterhorn-Abfahrt im Frühling bereit wären.» Ganz sicher ist, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist.