Dass der Abfahrts-Altmeister Bernhard Russi auch auf Langlauf-Latten eine gute Figur abgibt, demonstriert der Urner im letzten März beim 90 Kilometer langen Wasalauf in Schweden: Der 72-Jährige erreicht das Ziel in 9 Stunden, 29 Minuten und 28 Sekunden. In diesen Tagen trifft man Bernhard in Andermatt erneut regelmässig auf der Loipe an. Allerdings nicht beim klassischen Langlauf, sondern beim Biathlon.
«Ich bin seit Jahren ein grosser Fan dieser Sportart. Nun will ich endlich selber wissen, wie es sich anfühlt, wenn man nach einer Laufrunde mit hohem Puls schiessen muss.» Mit Matthias Simmen hat Russi einen hochkarätigen Lehrer an seiner Seite. Der SRF-Kommentator wurde 2006 beim 10 Kilometer-Sprint in Hochfilzen Zweiter und war somit der erste Schweizer Biathlet auf einem Weltcup-Podium.
«Die Belastung in dieser Sportart ist wirklich mörderisch»
Und der in Realp aufgewachsene 48-Jährige scheint auch bei Biathlon-Greenhorn Russi Wunder zu bewirken. Nach der anspruchsvollen Laufrunde trifft der Abfahrt-Olympiasieger von 1972 beim ersten Liegend-Anschlag vier von fünf Scheiben! Bei den beiden Stehend-Schiessen bleibt er allerdings ohne Treffer und im zweiten Liegendversuch fällt nur eine Scheibe.
«Die Belastung in dieser Sportart ist wirklich mörderisch», stöhnt der Mann, der 1982 sogar die höllische Rallye Paris–Dakar gemeistert hat.
Russis Liebe zum Biathlon tut diese «mörderische» Erfahrung aber keinen Abbruch: «Ich verpasse im TV praktisch keinen Biathlon-Bewerb, weil diese Sportart so viele grossartige, telegene Formate beinhaltet.» Der Vorsteher des Alpin-Komitees der FIS setzt seine Lobeshymne fort: «Die Biathleten haben sich dem Fernsehen angepasst. Sie haben sich immer und immer wieder die Frage gestellt, was es braucht, damit ihre Sportart für den Zuschauer jederzeit spannend bleibt. Und dabei haben Sie den Punkt auf dem I getroffen.»
Russi kritisiert Alpin-Entwicklung
Und dann wird die lebende Alpin-Legende richtig selbstkritisch. «Im alpinen Rennsport haben wir es in den letzten Jahren nicht zustande gebracht, um das zu machen, was der Markt braucht und will. Wir wurden bisher auch nicht dazu gezwungen, weil es uns Alpinen immer noch zu gut geht. Aber es gibt ganz einfach Disziplinen, wo ich mich hinterfrage, ob das so noch passt!»
Und dann zielt Russi auf den Super-G! «Der grosse Teil des Publikums erkennt sowieso keinen Unterschied zwischen einer Abfahrt und einem Super-G. Für mich persönlich ist ein Super-G höchst spannend, bis die Startnummer 25 im Ziel ist. Dann ist das Rennen meistens entschieden, obwohl insgesamt 90 Fahrer am Start stehen. Aber die hinteren Starter haben in dieser Disziplin nur eine Chance, wenn das Wetter verrückt spielt.»
Will Russi den «Super Giant» deshalb abschiessen? Nein, aber: «Weil die meisten TV-Stationen nach 60 Minuten aussteigen, dürfen wir nicht mehr Teilnehmerfelder von 90 Athleten zulassen. Ansonsten weiss der TV-Zuschauer bei Rennen, in denen es des Wetters wegen mit jeder Nummer schneller wird, ja gar nicht, ob er die Siegesfahrt nun wirklich gesehen hat.»
Hoffnungen in Bormio liegen auf Caviezel und Odermatt
Am Montag steht in Bormio der dritte Super-G dieses Winters auf dem Programm. Die Hoffnungen der Schweizer liegen neben Val-d’Isère-Triumphator Mauro Caviezel vor allem auf Riesen-Talent Marco Odermatt. Die Expertise von Bernhard Russi: «Marco hat seine Technik im Vergleich zum Vorjahr noch einmal verbessert. Dadurch wird er zwar anfänglich etwas von seinem Gleitvermögen in den schnellen Disziplinen einbüssen und dadurch in technisch wenig anspruchsvollen Abfahrten Zeit verlieren. In schwierigen Super-G wird er aber vorne dabei sein.»
Und in Bormio wird es heute einen schwierigen Super-G geben.