2022 wird Bernhard Russi 74 Jahre alt. Und am 7. Februar feiert er ein grosses Jubiläum. Dann ist es 50 Jahre her, seit er mit seinem Olympiasieg in Sapporo Sportgeschichte geschrieben hat. Und seit diesem Tag ist er in verschiedensten Rollen zu einem Monument im Sport und im gesellschaftlichen Leben der Schweiz geworden. In diesen Tagen hat Russi vom Bürgermeister der Stadt Sapporo ein langes Schreiben erhalten. Auch in Japan ist die Wertschätzung gegenüber dem Urner nach wie vor gross. Jetzt sitzt Russi im Restaurant Wachthaus mitten im Skigebiet von Andermatt. Er hat das Haus mit einem Kollegen vom Militär gepachtet und umgebaut. Und er schaut an diesem prächtigen Tag rundherum und hinab auf Andermatt. An der Seite von Investor Samih Sawiris ist er mitverantwortlich für eine märchenhafte Entwicklung seiner Heimat. Er spricht über Weihnachten, über Corona und darüber, dass er nach den Olympischen Spielen in Peking alle seine Ämter bei der FIS und als Pistenarchitekt abgeben wird.
Blick: Bernhard Russi, wie verbringen Sie Weihnachten?
Bernhard Russi: Sehr klassisch und traditionell. Meine zwei Kinder und meine drei Enkelkinder müssen im Zimmer warten, bis ich mit dem Glöcklein läute. Das gilt auch für meinen 40-jährigen Sohn. Da gibt es keine Ausnahme.
Und dann?
Dann gibt es Bescherung. Und dann nehme ich meine Handorgel und spiele Stille Nacht. Drei Strophen. Alle müssen mitsingen.
Sie spielen Handorgel?
Mit acht Jahren habe ich mir auf Weihnachten eine Handorgel gewünscht. Sie wurde am Weihnachtstag mit der Post geliefert und mein Vater hat mir erlaubt, sie schon vor der Bescherung zu benutzen. Ich habe einige Stunden geübt und am Abend Stille Nacht gespielt.
Und das tun Sie seit 1956 jedes Jahr?
Einige Jahre habe ich ausgesetzt. Ich habe meine Handorgel an der Fasnacht irgendwo liegen lassen. Aber meine Frau hat in einer Brockenstube das gleiche Modell gefunden. Seither spiele ich wieder.
Verändert Corona auch das Fest in Ihrer Familie?
Unsere Feier wird im üblichen Rahmen stattfinden. Aber klar, diese Pandemie verändert und beeinflusst das Leben von allen Menschen. Ich bin privilegiert, lebe in den Bergen, kann Skifahren und Langlaufen und Klettern. Ich lasse mich nicht verrückt machen und ich habe keine Zeit, um Trübsal zu blasen. Egal wie die Umstände sind, man muss und soll jeden Tag geniessen. Da hilft mir wohl meine Erfahrung als Sportler.
Inwiefern?
Es ist wie auf der Piste: Mal gibt es Rückenwind, mal Gegenwind. Mal scheint die Sonne und dann stürmt es. Man kann die äusseren Umstände nicht ändern und muss das Beste daraus machen. So sehe ich das in jeder Lebenslage, auch bei schwierigen Schicksalsschlägen und auch bei dieser Pandemie. Darum empfehle ich allen: Geht raus an die frische Luft, in die Berge. Bevor euch die Decke auf den Kopf fällt.
Sind Sie geimpft?
Ja. Ich bin auch schon geboostert.
Verstehen Sie, dass auch im Skizirkus einige auf die Impfung verzichten?
Ich respektiere es natürlich. Aber das Verständnis dafür fehlt mir schon. Gerade im Spitzensport wird ja gespritzt und geschluckt und alles für den Erfolg getan. Und jetzt soll diese Impfung ein Problem sein? Ich bin kein Fachmann. Aber wenn fünfzig Mediziner und Virologen sagen, dass diese Impfung unbedenklich und sinnvoll ist, dann höre ich auf diese fünfzig. Und nicht auf den einen, der vielleicht das Gegenteil behauptet.
Wie lautet eigentlich Ihr Fazit der bisherigen Skisaison?
Marco Odermatt überstrahlt natürlich alles. Unglaublich, welches Potenzial der Mann hat. Und das alles mit Stöckli-Ski. Eine kleine Schweizer Firma mit beschränkten Möglichkeiten. Das ist schon eine märchenhafte Geschichte.
Aber Skination Nummer eins zu bleiben, wird schwierig. Die Österreicher enteilen uns.
Wir sind jetzt halt die Gejagten. Aber abwarten. Odermatt ist eine Bank, Beat Feuz ist eine Bank. Lara Gut hat eine schwere Zeit. Aber die kommt zurück. Genau wie Corinne Suter, Wendy Holdener und Michelle Gisin. Auch die starken Slalomfahrer kommen noch in Fahrt. Ich glaube daran, dass wir die Österreicher noch abfangen. Nach den Rennen im Berner Oberland sieht man dann klarer.
Als Pistenbauer von Peking sind Sie im Februar drei Wochen in China. Finden die Olympischen Spiele überhaupt statt?
Natürlich. Es werden aufgrund von Corona spezielle Spiele. Aber wenn jemand diese Sache unter diesen herausfordernden Bedingungen perfekt organisieren kann, dann sind es die Chinesen. Die überlassen nichts dem Zufall.
Aber es gibt auch Boykottaufrufe. Die Einhaltung der Menschenrechte in China ist ein Dauerthema.
Wollen Sie jetzt in dieser schwierigen Phase den jungen Sportlern noch die Spiele wegnehmen? Ich bin nicht der Verteidigungsminister von China und es gibt sicher Kritikpunkte. Aber sind die Journalisten, die jetzt einen Boykott fordern, mal in diesem Land gewesen? Haben sie sich vor Ort ein Bild gemacht? Oder plappert hier einfach jeder dem anderen nach?
Welche Vorsätze hat Bernhard Russi für 2022?
Für mich ändert sich nicht viel. Nach den Olympischen Spielen ist in einigen Bereichen allerdings Schluss. Ich trete aus dem Alpinkomitee der FIS zurück. Und höre auch als Pistenarchitekt auf. Bei der neuen Abfahrt in Zermatt übernimmt Didier Défago den Lead.
Auch an der Matterhorn-Abfahrt gibt es Kritik?
Auch das verstehe ich nicht. Wind gibt es überall. Der Skisport muss sich entwickeln, er darf nicht stehenbleiben. Wo kann man denn im November so ein Spektakel erleben? Nirgendwo sonst. Der Wintersport verändert sich. Im Langlauf, im Skispringen oder im Skicross hat man das verstanden. Der Alpin-Bereich muss nachziehen.
Ist der neue FIS-Präsident Johan Eliasch für einen Aufbruch der richtige Mann?
Ich habe bei seiner Wahl auch erstmal leer geschluckt. Aber Eliasch ist ein Unternehmer. Und ein Unternehmer muss ja etwas unternehmen. Er schaut sich die Sache jetzt an und wird dann sicher reagieren.
Der Parallel-Wettbewerb und die Kombination werden wohl gestrichen.
Das ist gut möglich. Allerdings verliert dann der Alpin-Bereich bei den Olympischen Spielen mit der Kombination einen ganzen Medaillensatz. Das ist schmerzhaft. Es muss neue Formate und neue Rennen geben. Wenn einer ein Dart-Turnier gewinnt, bekommt er mehr Preisgeld als einer, der ein Weltcupsieger im Skifahren ist. Das kann nicht sein. Darum muss auch eine zentrale Vermarktung über die FIS weiter ein Thema bleiben.
Was machen Sie, wenn Sie im nächsten Jahr noch mehr Zeit für sich haben?
Ich habe noch eine Liste abzuarbeiten. Ich will endlich die Mondschein-Sonate von Beethoven auf dem Klavier spielen können.
Und was noch?
Oh, da gibt es noch einige Punkte.
Beispielsweise?
Beim Klettern möchte ich noch den 7. Schwierigkeitsgrad erreichen. Ich war noch nie in Patagonien. Ich habe die Mitternachtssonne noch nie gesehen. Das möchte ich alles noch erleben. Auch den Wasalauf in sieben Stunden schaffen, ist ein Ziel. Bei der letzten Teilnahme hatte ich für die 90 Kilometer neun Stunden. Aber da ist man mit den Langlaufski im matschigen Schnee ständig stecken geblieben. Und mir fällt jetzt doch noch ein, was sich 2022 ändert.
Was?
Ich muss jetzt jeden Abend 74 Kniebeugen machen. Ich gehe ja in kein Fitness-Studio. Aber ich mache jeden Abend während dem Zähneputzen Kniebeugen. Immer meinem Alter entsprechend. Jetzt muss ich von 73 auf 74 steigern. 74 links und 74 rechts. Auch wenn ich gefeiert habe und spät ins Bett komme.