Während sich Marco Odermatt im Ziel über den Sieg beim Super-G in Bormio freut, ereignet sich mit der Startnummer 48 ein Vorfall, der seine Stimmung trübt. Odermatts Schwyzer Kumpel Urs Kryenbühl scheidet 24 Stunden nach seinem starken Abfahrts-Auftritt (Rang 6) bereits nach wenigen Super-G-Toren aus und hält sich danach mit schmerzverzerrtem Gesicht das rechte Knie. Abfahrts-Co-Trainer Erich Schmidiger leistet Erste Hilfe und sagt später zu Blick: «Obwohl Urs nicht gestürzt ist, hatte er im ersten Moment brutale Schmerzen.»
Der leidgeprüfte 28-Jährige, der in den letzten zwei Jahren durch zwei Horror-Stürze (Kitzbühel und Saalbach) weit zurückgeworfen wurde, wird danach mit dem Helikopter ins Zielgelände geflogen. «Weil er anschliessend sein Knie wieder strecken konnte, ist Urs mit dem Auto zur Untersuchung nach Zürich gereist», verrät Schmidiger.
Kreuzbandriss und WM-Out
Die Diagnose folgt am Tag darauf. Die Untersuchungen in der Klinik Hirslanden in Zürich haben eine Ruptur des rechten vorderen Kreuzbandes ergeben, wie Swiss-Ski in einer Medienmitteilung schreibt. Kryenbühl werde vorerst konservativ rehabilitiert. Eine erneute Standortbestimmung sei dann in der zweiten Februar-Hälfte geplant.
Nach dem Horror-Abflug im Januar 2021 in Kitzbühel (Gehirnerschütterung, Kreuzbandriss und Schlüsselbeinbruch) hat sich Kryenbühl vor knapp elf Monaten im Europacup in Saalbach auch noch das Becken gebrochen. Und nun, ausgerechnet nach dem starken 6. Rang in der Bormio-Abfahrt und der Rückkehr in die erweiterte Spitze, das nächste Kapitel in der Leidensgeschichte.
Damit verpasst Kryenbühl auch sicher die WM in Courchevel. Die Titelkämpfe finden vom 6. bis 19. Februar in Frankreich statt.
Odermatts Macht-Demonstration
Dabei sah es am Donnnerstag in Bormio aus Schweizer Sicht so gut aus. Odermatt erlebt zwar rund zwanzig Sekunden nach dem Start einen Schreckmoment, als er von der Ideallinie wegrutscht. Doch ab diesem Zeitpunkt wird der Nidwaldner seiner Reputation als Jahrhundert-Athlet ein weiteres Mal in eindrücklichster Manier gerecht. Der Riesenslalom-Olympiasieger meistert die restlichen Passagen des wohl schwierigsten Super-G dieser Saison in scheinbar spielerischer Leichtigkeit.
Und so liegt der 25-Jährige im Ziel sechs Zehntel vor Österreichs Vincent Kriechmayr (31), der am Vortag in überragender Manier die Stelvio-Abfahrt gewonnen hatte. Damit hat Odermatt nun wie Beat Feuz (35) 16 Weltcupsiege auf dem Konto. Und dass den amtierenden Gesamtweltcup-Sieger offensichtlich kaum etwas aus dem Konzept bringen kann, belegt seine Analyse des Fehlers im Startabschnitt. «Ich habe diese Situation gar nicht so extrem wahrgenommen. Klar, es hat mich kurz verschlagen und etwas verdreht. Aber ich glaube nicht, dass es viel Zeit gekostet hat. Und danach hat wirklich alles perfekt gepasst.»
Meillard setzt sich auf eine Stufe mit Frankreichs Superstar
Eine schöne Geschichte schreibt in Bormio auch Loïc Meillard, der nach fünf Top-3 Platzierungen im Riesenslalom und drei «Stockerl-Rängen» im Slalom mit dem dritten Platz seinen ersten Podestplatz im Super-G realisiert. Und das trotz einer Mini-Vorbereitung im Speed-Bereich. «Bis zum Weltcup-Auftakt in Sölden habe ich lediglich viermal Super-G trainiert», erzählt der Walliser mit Neuenburger Wurzeln. «Und das ist dann auch der Grund, dass ich auf Super-G, die mit vielen Gleitpassagen bestückt sind, chancenlos bin. Aber wenn es so steil und eisig ist wie hier in Bormio und eine Kurve auf die andere folgt, kann ich die fehlenden Speed-Kilometer mit meiner Technik kompensieren.»
Wie aussergewöhnlich diese Leistung ist, belegt die Statistik: Im aktuellen Weltcup-Fahrerfeld ist Meillard neben Frankreichs Superstar Alexis Pinturault der Einzige, der neben Riesen- und Slalom-Podiumsplätze auch einen Speed-Podestplatz vorweisen kann.
Angesichts Kryenbühls Verletzung rücken diese Erfolge aber nun in den Hintergrund.