Über halbe Million Spenden für Sportler-Hilfsprojekt
Schweizer Ski-Olympionike fuhr schon 15 Mal in die Ukraine

Vom Olympia-Skiakrobaten zum Dauerhelfer in der Not: Andreas Isoz nutzt seine Kontakte aus der Aerials-Szene, um seit Jahren Hilfsgüter direkt in die Ukraine zu bringen. Seine abenteuerlichen Fahrten ins Kriegsgebiet lassen den Zürcher jeweils geerdet zurückkehren.
Publiziert: 03.01.2025 um 16:14 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2025 um 09:09 Uhr
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Andreas Isoz: Der Ex-Skiakrobat zog neben seinem Job als Restaurant-Geschäftsführer ein Hilfsprojekt für die Ukraine auf.
Foto: STEFAN BOHRER
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Matthias DubachLeiter Reporter-Pool Blick Sport

Je kleiner die Sportart, desto enger wächst die Szene zur Familie zusammen. Ein gutes Beispiel dafür: Aerials, das ist die Disziplin der wilden Skiakrobaten. Die Szene ist so familiär, dass der vor zehn Jahren zurückgetretene Aerials-Olympionike Andreas Isoz (40) im März an der Freestyle-WM im Engadin die Schanzen für die heutigen Stars bauen wird. 

Aber welch unverhoffte Dimension der Zusammenhalt in der internationalen Aerials-Familie hat, lernt Isoz beim Kriegsausbruch 2022 in der Ukraine kennen. Für viele der Ski-Kolleginnen und -Kollegen aus der Ukraine, die teilweise jährlich auf der Sommer-Sprungschanze «Jumpin» in Isoz’ Heimat Mettmenstetten ZH trainieren, gehts plötzlich um Leben und Tod. Isoz stampft aus dem Nichts eine riesige Hilfsaktion aus dem Boden, sammelt spontan Spenden und bringt tonnenweise Hilfsgüter in das Kriegsland. In der Ukraine helfen die Aerials-Kontakte wie der befreundete Trainer Enwer Ablajew (45).

Isoz lieferte persönlich in Orte wie Butscha und Cherson

Das Verrückte: Es ist keine einmalige Aktion, Isoz hilft bis heute in der Ukraine. Die riesige Sportler-Solidariät hält nach wie vor an. Seit bald drei Jahren sammelt der Zürcher auf der Plattform «there for you» Spenden. «Am Anfang wurden wir komplett überrannt, in wenigen Stunden kamen Zehntausende Franken zusammen. Als ich aufgerufen habe, haben auch viele Leute aus der Aerials-Szene gespendet, selbst aus Japan und China ist Geld eingetroffen», schildert Isoz und ergänzt: «Im Lauf der Jahre sind nun über eine halbe Million Franken zusammen gekommen. Wir waren mittlerweile schon 15 Mal in der Ukraine und haben Güter geliefert.» 

Schon über ein Dutzend abenteuerliche Fahrten ins Kriegsland. Auch an Orte mit unheilvoller Geschichte wie Butscha, Cherson oder Saporoschschja. Sein Reisepass ist voller Stempel. Neben ungarischen, polnischen und ukrainischen auch moldawische. Denn bei den letzten acht Trips liefert Isoz ausrangierte Schweizer Krankenwagen, randvoll mit Hilfsgütern – und fährt danach mit dem Zug von Kiew zum Flughafen der moldawischen Hauptstadt Chisinau. «Von dort fliege ich zurück. Das ist schneller und günstiger.»

Sein Hilfsprojekt ist längst zu einem Teil seines Alltags geworden. Blick besucht Isoz in Mettmenstetten im Restaurant Bahnhöfli. Der 74-fache Weltcup-Starter ist Geschäftsführer eines grösseren Gastro-Unternehmens mit Dutzenden Angestellten, auch ein Betrieb in Weiningen ZH gehört dazu. Fürs Personal ist es normal, dass der Chef immer wieder Hilfs-Trips in den Osten fährt oder dass im grossen Lager des Gastro-Betriebs auch mal Hilfsgüter zwischengelagert werden. 

Ukrainischer Aerials-Trainer hilft bis heute vor Ort

Mit der früheren Weltklasse-Aerials-Athletin Olga Volkova (38, WM-Bronze 2011) arbeitete zwischenzeitlich auch eine geflüchtete Ukrainerin im Restaurant. Doch Volkova ist mittlerweile trotz des Kriegs in die Heimat zurückgekehrt, sie ist nun auch einer von Isoz’ Kontakten aus der Skiszene vor Ort.

«Sie wissen am besten, woran es mangelt, und melden es uns. Ich habe am Anfang rasch gemerkt, dass die Hilfe direkt vor Ort gebracht werden muss», sagt Isoz. Er sendet mit seinem Hilfsprojekt kein Geld in die Ukraine. Er kauft mit den Spenden Güter wie medizinisches Material, Dinge wie Thermounterwäsche oder auch Spielwaren, Schreib- und Schulmaterial für Kinder ein und liefert sie selber in der Ukraine ab. Oft ist es der ukrainische Trainer Ablajew, der Notstände meldet. Isoz: «Da hatte ich auch manchmal ein schlechtes Gewissen, denn er hatte sich selber in Gefahr gebracht, weil er Projekte für uns abklärte.»

Das Ukraine-Projekt von Isoz ist auch ein Kampf gegen das Vergessen. In der Schweiz geriet der Krieg zwischenzeitlich in den Hintergrund. Doch Isoz macht einfach immer weiter. Er sieht bei jeder Fahrt aufs Neue, wie gross die Not ist. 

Ins Grübeln bringt ihn vor allem der unglaubliche Spagat im Land zwischen Krieg und Normalität. «Ich habe viele zerstörte Häuser gesehen, das ist schon beklemmend. Aber während du Explosionen von Minenräumkommandos hörst, gehen die Leute normal zur Arbeit. Daran musste ich mich zuerst gewöhnen.»

Den Krieg von ganz nahe zu erleben, lässt Isoz jeweils geerdet von seinen Reisen zurückkehren. «Unsere Probleme in der Schweiz erscheinen dann plötzlich nicht mehr so gross», sagt Isoz nachdenklich. Der nächste Trip mit einem ausrangierten Krankenauto ist schon geplant.

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