Auf einen Blick
- Lindsey Vonn kehrt in den Ski-Zirkus zurück, Experten schätzen ihre Chancen ein
- Vonn polarisiert: Fans lieben oder hassen sie, sie bleibt sich treu
- Zehnmal stand Vonn in St. Moritz auf dem Weltcup-Podest – fünf Siege
Die aktuellen Temperaturen in St. Moritz sind nicht unbedingt herzerwärmend. Beim Start des Super-G auf 2590 Metern über Meer werden zwischen minus neun und minus sechs Grad vorhergesagt. Egal! Denn: Das viel erwartete Comeback von Lindsey Vonn (40) lässt die Herzen aller höher schlagen – egal, ob man ihre Rückkehr in den Ski-Zirkus für blöd oder genial hält. Vonn, die seit April mit einer Teilprothese im rechten Knie fährt, meint: «Ich habe schon immer polarisiert. Die Leute lieben oder hassen mich. Ich weiss nicht, warum. Ich bin einfach nur ich.»
Tatsächlich wurde viel gesprochen in den letzten Wochen, es gab Kritik, Giftpfeile und Konter. Nun kommt endlich der Moment, an dem Vonn die Comeback-Karten auf den Tisch legen wird. Für Blick Grund genug, um Ski-Experten und ehemalige Konkurrentinnen Vonns zu fragen: Welche Rangierung trauen sie ihr zu? Und weshalb?
Bevor Fränzi Aufdenblatten (43) antwortet, will sie etwas klarstellen: «Ich finde, es ist nicht an uns zu beurteilen, wie sinnvoll es ist, solche Risiken einzugehen. Das ist Lindseys Entscheid.» Die Walliserin wurde 20 Jahren in Lake Louise (Ka) Zehnte, als Vonn den ersten ihrer 82 Weltcupsiege einfuhr. Bei ihrem einzigen Weltcupsieg (2010 in Val d’Isère) schlug Aufdenblatten Vonn (Dritte).
Nun sagt Aufdenblatten: «Wenn ich Lindseys skifahrerisches Können und ihre physische Verfassung beurteile, gehe ich von einer Top-15-Platzierung aus. Vielleicht geht es sogar in Richtung Top 10.» Der entscheidende Punkt werde sein, wie gross Vonns Risikobereitschaft auf der Corviglia sein wird. Und genau da ist Aufdenblatten überzeugt: «Offensichtlich traut sich Lindsey nach wie vor zu, die Grenzen auszuloten. Ich freue mich jedenfalls, sie wieder fahren zu sehen.»
Berthod glaubt an Top-10-Platz
Vonn machte bereits beim Speed-Camp in Copper Mountain (USA) im November auf sich aufmerksam, als sie einmal gar schneller als die italienischen Top-Shots Federica Brignone (34) und Marta Bassino (28) war. Als Vorfahrerin der Abfahrt in Beaver Creek (USA) fuhr sie eine Zeit, die im Rennen Platz 7 bedeutet hätte. Und meinte danach: «Ich habe nicht 100 Prozent gegeben.»
Dies imponierte SRF-Experte Marc Berthod (41). «So wie Lindsey auf der Birds of Prey gefahren ist, traue ich ihr in St. Moritz einen Platz unter den besten zehn zu. Die Bedingungen im Engadin ähneln üblicherweise jenen in Colorado und da fühlt sie sich offensichtlich wohl.» Der Bündner betont, dass er Vonn in der Abfahrt gar noch mehr zutraut.
Ex-Konkurrenten: «Traue ihr Platz 5 zu»
So wie Aufdenblatten standen auch zwei weitere Schweizer Speed-Asse einst mit Vonn auf Weltcup-Podesten: Nadja Jnglin-Kamer (38) und Nadia Hürlimann-Styger (46). Auch sie sind gespannt, wozu ihre ehemalige Konkurrentin noch fähig ist. Jnglin-Kamer: «Nach den Videos, die ich von Lindsey gesehen habe, traue ich ihr Platz 5 zu. Sie scheint ihren Grundspeed nicht verloren zu haben und ich freue mich, zu sehen, was körperlich mit 40 Jahren noch alles möglich ist.»
Hürlimann-Styger ist da etwas vorsichtiger. «Platz 14. Ich denke, sie wird ein solides Rennen zeigen. Aber der Renninstinkt dürfte Lindsey noch etwas fehlen.» So wie Berthod geht auch die vierfache Weltcupsiegerin davon aus, dass Vonn in der Abfahrt stärker sein wird.
11. Podestplatz in St. Moritz?
Zehnmal stand Vonn in St. Moritz schon auf dem Weltcup-Podest, fünf Rennen gewann sie. Für ihren Ex-Coach und heutigen SRF-Experten Stefan Abplanalp ist dies ein wichtiger Faktor. «Sie hat grosse Erfolge gefeiert, was für die mentale Stärke sehr wichtig ist. Die anspruchsvolle Strecke kommt erfahrenen Athletinnen wie Lindsey entgegen.»
Der Berner Oberländer räumt aber ein: «Die Voraussetzung, mit einer Nummer nach den 30 zu starten, ist kein Vorteil. Ich traue ihr den zwölften Platz zu.»
Wer recht haben wird? Am Samstagmittag kennen wir die Antwort.