Der Reporter von Radio SRF will es einfach nicht wahrhaben. Obwohl sein Interview-Partner Stefan Rogentin soeben beim Lauberhorn-Super-G den ersten Podestplatz in seiner Weltcup-Karriere realisiert hat, verläuft das Gespräch ohne die grossen Emotionen. Der Berichterstatter hakt deshalb noch einmal nach: «Sind sie innerlich wirklich so ruhig, wie es gegen aussen den Anschein macht?» Rogentin nickt: «Ich versuche, in jeder Lebenslage die Ruhe zu bewahren. Und meistens gelingt mir das auch.»
Nach dem Gusto seiner Trainer hat der Bündner zeitweise zu zurückhaltend agiert. «Man hat mir lange vorgeworfen, dass ich mich zu sehr in der Komfortzone aufhalten würde», verrät der 28-Jährige, der auf der Lenzerheide aufgewachsen ist. Doch diese Zeiten gehören endgültig der Vergangenheit an. Der Sohn eines Vermögensverwalters hat sich in den letzten beiden Jahren enorm weiterentwickelt und besticht in diesem Winter vor allem im Super-G durch seine Konstanz – Neunter in Lake Louise, 15. in Beaver Creek, Siebter in Bormio und nun Zweiter in Wengen. Einzig Norwegens Super-Star Aleksander Aamodt Kilde (30, 18. Weltcupsieg) ist 27 Hundertstel schneller. Aber Rogentin ist drei Zehntel schneller als sein genialer Teamkollege Marco Odermatt auf dem dritten Rang.
«Dann beginnt es am ganzen Körper zu kribbeln»
Odermatt: «Rogi ist seit ein paar Jahren im Training regelmässig der Schnellste. Deshalb freue ich mich riesig für ihn, dass es jetzt auch im Rennen geklappt hat.» Lange Zeit war unklar, ob Rogentin wirklich auf die Karte Skirennsport setzen will. Er spielte in der Jugend auch sehr ambitioniert Eishockey. Dies in der Rolle des Centers. «Der HC Davos hat damals sein Interesse an mir signalisiert». Mit 14 hat sich Rogentin dann aber ultimativ gegen das Eishockey entschieden.
Richtig scharf schiesst das Multi-Talent aber nach wie vor. Mit 19 hat er mit Erfolg die Bündner Jagd-Prüfung bestanden. Und weil er der Jagd-Ethik zu 100 Prozent gerecht werden will, wird der Mann, den sonst wirklich kaum etwas aus der Ruhe bringen kann, vor jedem Schuss auf ein Wildtier richtig nervös. «Wenn ich einen Ast knacken höre, beginnt es am ganzen Körper zu kribbeln. Mir ist bewusst, dass ich mit einem Schuss einen Eingriff in die Natur vornehme, ich töte damit ein Lebewesen. Und diese Gewissheit sollte jeden Jäger nervös machen.»
Bestzeit im ersten Lauberhorn-Training
Ein etwas flaues Gefühl im Magen verursacht bei Rogentin auch der alte Jägerbrauch, dass der Schütze auch die Leber essen sollte. «Leber hat mir bis jetzt noch nie geschmeckt. Ich probiere es dennoch jedes Jahr aufs Neue aus. Schliesslich könnte es ja sein, dass mir Leber plötzlich schmeckt, weil sich der Geschmack manchmal verändert.» Bezüglich Podestplätzen im Weltcup ist er nun definitiv auf den Geschmack gekommen. Und deshalb dürfen wir am Samstag auch in der Abfahrt einiges vom Mann, der neben dem Skirennsport auch noch am Master in Betriebsökonomie arbeitet, erwarten. Zumal Rogentin am Dienstag im ersten Training zur Lauberhornabfahrt die Bestzeit in den Schnee gezaubert hat.