Normalerweise kann sich Beat Feuz darauf verlassen, dass ihm ein Kumpel aus der Jugendzeit eine optimale Spur in die Lauberhorn-Piste zaubert. Die Rede ist von Stefan Schneeberger, der in Eggiwil im Nachbardorf des Schangnauer Abfahrtskönigs aufgewachsen ist.
Seit Jahren ist «Steffu» auf der längsten Abfahrt der Welt in einem Renndress, dass ihm Beat geschenkt hat, als erster Vorfahrer im Einsatz. Nicht so in diesem Jahr: Der gelernte Zimmermann musste wegen eines positiven Corona-Tests abreisen. Kann Feuz am Samstag auch ohne seinen «Vorspurer» aus dem Emmental seinen vierten Lauberhornsieg einfahren?
Klammer schmunzelt über Feuz-Wedler
Während der Abfahrts-Weltmeister von 2017 mit der Startnummer 3 ins Rennen geht, schaut Österreichs einstiger Abfahrts-Kaiser Franz Klammer auf der VIP-Tribüne zusammen mit Ex-Weltmeister Patrick Küng besonders genau hin. Der 68-jährige Kärntner teilt sich mit dem Emmentaler in Wengen den Abfahrts-Sieg-Rekord. Als Beat bei der Brüggli-Einfahrt mit einem ordentlichen Gegenschwung aufwartet, kann sich Klammer ein Schmunzeln nicht verkneifen: «Ich habe nicht gewusst, dass Beat als Abfahrts-Spezialist auch so schön wedeln kann...»
Mehr Zeit als dieser «Wedler» kostet Feuz aber mit ein Innenskifehler in Langentrajen. Und obwohl er im Ziel vor Klammers Landsmann Matthias Mayer die Führung übernimmt, fällt die erste Reaktion seines langjährigen Teamkollegen Patrick Küng skeptisch aus: «Ich fürchte, dass Beat für den Sieg einen Fehler zu viel gemacht hat.»
Urs Lehmann tobt wegen Regeländerung
Tatsächlich ist Vincent Kriechmayr mit der Nummer 7 um 34 Hundertstel schneller als unser «Kugelblitz». Der amtierende Weltmeister in der Abfahrt und im Super-G hat Feuz bereits 2019 einen Lauberhornsieg vermasselt. Aber im Gegensatz zu damals erntet der Oberösterreicher für diesen Triumph einige heftige Proteste aus dem Schweizer Lager.
«Das ist eine der grössten Sauereien, die jemals im Skirennsport passiert sind», tobt etwa Verbands-Präsident Urs Lehmann. Der Abfahrts-Weltmeister von 1993 wird nie verstehen können, dass der 30-Jährige vom internationalen Ski-Verband die Starterlaubnis für die beiden Abfahrten am Lauberhorn erhalten hat, weil er nach einer Corona-Erkrankung erst nach den beiden Trainings in Wengen eingetroffen ist. Und gemäss FIS-Reglement dürfen eben nur die Athleten eine Abfahrt bestreiten, welche mindestens einen offiziellen Trainingslauf auf der Rennpiste absolviert haben.
Feuz gibt sich gelassen
Für Kriechmayr hat die Jury die Regeln aber kurzfristig geändert. Er erhielt die Start-Erlaubnis, nachdem er am Freitagmorgen eine Minute vor der offiziellen Pistenbesichtigung ein Zwei-Sekunden-«Training» absolvierte.
Fühlt sich Beat Feuz aufgrund dieser Vorgeschichte nun um den Sieg betrogen? «Nein, für mich hat der Sieg von Vincent trotz allem keinen faulen Nachgeschmack», betont der vierfache Abfahrts-Gesamt-Weltcupsieger in aller Deutlichkeit. «Weil Kriechmayr auf dieser kräfteraubenden Piste weniger Fahrten als alle andern absolviert hat, dürfte er zwar etwas mehr Kraftreserven als wir gehabt haben. Anderseits kenne ich nicht viele Rennfahrer, die so viel Klasse haben, dass sie ohne Training von ganz oben am Lauberhorn eine derart starke Fahrt ins Ziel bringen.»
Hintermann: «Das ist einfach nur noch lächerlich»
Feuz legt nach: «Meines Wissens gibt es eine FIS-Regel, dass die Jury in einer Ausnahmesituation alles im Alleingang entscheiden kann. Deshalb ist für mich alles gut.» Feuz-Teamkollege Niels Hintermann sieht das nach seinem 13. Platz ganz anders. «Ich bin zwar in die Leader-Box gegangen, um vor Kriechmayr den Hut zu ziehen. Wenn ein Rennfahrer nach einem tagelangen Shitstorm ohne richtiges Training eine solche Leistung abliefert, ist das schon sehr beeindruckend. Aber die FIS muss sich nun endlich ernsthaft hinterfragen. Was sich diese Leute beim Slalom in Zagreb und jetzt bei der Regelauslegung im Fall Kriechmayr geleistet haben, ist einfach nur noch lächerlich.»
Und natürlich stellt sich die Frage, welche Rolle der neue FIS-Präsident Johan Eliasch in Fall Kriechmayr gespielt hat. Fakt ist: Vor seiner Wahl im letzten Sommer war der britische-schwedische Milliardär CEO vom Ski-Hersteller Head. Und in dieser Funktion hat er Kriechmayr im Frühling 2020 von Fischer geangelt. Hat also ein Interssenskonflikt zur kurzfristigen Regeländerung geführt? «Es war ja nicht Johan, sondern die Jury, welche zu meinen Gunsten entschieden hat», sagt Kriechmayr. «Aber natürlich habe ich mich nach der ersten Abfahrt hier in Wengen mit dem Johan unterhalten und der hat mir gesagt, dass er froh sei, dass seine Leute so entschieden hätten.»
Ursprünglich hatten die Schweizer wie die Franzosen angekündigt, Protest einzulegen. Gemäss ÖSV-Cheftrainer Andi Puelacher ist aber kein Protest eingegangen, «weil eine Entscheidung der FIS-Jury vom Reglement her gar nicht angefochten werden kann».