Wir schreiben den 11. Dezember 2023. Wendy Holdener (30) donnert im Slalom-Training ins Netz. «Das war der heftigste Sturz meiner Karriere», sagt sie. Ihr linkes Sprunggelenk wird mit einer Platte und mehreren Schrauben repariert. Ob sie in diesem Winter zurückkehren wird, ist fraglich. «Ich muss zuerst wieder laufen lernen», sagt sie.
Was man damals noch nicht ahnen konnte: Holdeners Verletzung war nur der Auftakt einer schwarzen Serie. Vier weitere Ski-Asse haben sich schwer verletzt. Als Erstes erwischt es Österreichs Ski-Messias Marco Schwarz (28), er reisst sich am 28. Dezember in der Bormio-Abfahrt das Kreuzband. In Wengen gibt es zwei weitere, prominente Opfer. Beim Super-G stürzt Alexis Pinturault (32, Fr). Er reisst sich ebenfalls das Kreuzband, zudem geht die Hand in die Brüche – seine Saison ist futsch.
Auch bei den Nachwuchs-Skistars geht die Verletzungshexe um. Dort trifft es mit Lisa Grill (23) die Europacup-Gesamtzweite. Die Österreicherin war am Sonntag in Orcieres Merlette (Fr) gestürzt und danach im Netz verfangen. Dabei verletzte sie sich am Knie. Untersuchungen ergabennun einen Riss des Aussenbandes, einen Ausriss der Bizeps-Sehne sowie der Kapsel und eine Knochenprellung. Die Saison ist für Grill damit vorbei.
Auch bei den Nachwuchs-Skistars geht die Verletzungshexe um. Dort trifft es mit Lisa Grill (23) die Europacup-Gesamtzweite. Die Österreicherin war am Sonntag in Orcieres Merlette (Fr) gestürzt und danach im Netz verfangen. Dabei verletzte sie sich am Knie. Untersuchungen ergabennun einen Riss des Aussenbandes, einen Ausriss der Bizeps-Sehne sowie der Kapsel und eine Knochenprellung. Die Saison ist für Grill damit vorbei.
24 Stunden später geht es Aleksander Aamodt Kilde (31, No) nicht besser – er fliegt beim Ziel-S ab. Er hat eine ausgerenkte Schulter und eine heftige Schnittwunde am Bein. «Ich hatte Schmerzen wie noch nie und verlor viel Blut», berichtet der unzerstörbar wirkende Wikinger aus dem Spitalbett. Als wäre dies alles nicht genug, verletzt sich am letzten Samstag ein weiteres Ski-Ass schwer: Petra Vlhova (28, Slk) zerfetzt sich beim Heimrennen in Jasna vor 30’000 Zuschauern das Kreuzband.
Fünf Stars, fünf schlimme Verletzungen – und das innerhalb von nur sechs Wochen. Alles nur Zufall und Pech? Oder steckt doch mehr dahinter?
Mehr Eigenverantwortung und weniger Rennen
Für Hans Flatscher steht fest: «Was passiert ist, ist für den gesamten Skisport sehr schlecht.» Der Schweizer Alpin-Direktor betont, dass jede Verletzung eine zu viel sei. «Aber man kann nicht alle Fälle über einen Kamm scheren, sie sind zu unterschiedlich. Vor allem bringen gegenseitige Schuldzuweisungen nichts.» Dennoch findet auch Flatscher, dass man mögliche Ursachen von Unfällen ganz genau analysieren sollte. Als Erstes nennt er das Beispiel Kilde. Der Norweger kränkelte vor seinem Sturz, er war beim dritten Speed-Rennen innert drei Tagen sichtlich am Limit – oder darüber. «Das liegt auf einer so kräftezehrenden Strecke nicht drin. In solchen Fällen finde ich es wichtig, dass die Athleten Eigenverantwortung übernehmen und vielleicht auch mal ein Rennen auslassen.»
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Gleichzeitig gibt Flatscher Athleten wie Marco Odermatt (26), die das Mammut-Programm in Wengen (2 Trainings, 3 Rennen) kritisierten, recht. «Wegen der abgesagten Rennen hat man am Lauberhorn nochmals einen Wettkampf dazugepackt. Die Organisatoren haben eine super Piste hingezaubert, aber rückblickend war das Programm zu voll. Das ist eine Lehre, die man ziehen muss.» Der Ehemann von Riesen-Weltmeisterin Sonja Nef (51) findet ganz generell, dass die FIS aus dem extrem dicht bepackten Rennkalender «etwas Druck» rausnehmen könnte. Heisst übersetzt: 45 Rennen pro Geschlecht und Saison sind zu viel des Guten.
Gleichmässige Pisten, schnittfeste Anzüge – und eine Revolution?
Stéphane Mougin ist Rennchef bei Rossignol. Dass mit Vlhova seine wichtigste Athletin für den ganzen Winter ausfällt, schmerzt den Franzosen. Er nennt einen für ihn entscheidenden Punkt an: «Die Pisten sollten gleichmässig präpariert sein. Wenn der Schnee einmal aggressiv und einmal eisig ist, ziehen die Athleten zurück – oder sie fliegen ins Netz.» Das Problem sei, dass sich die Serviceleute vor dem Wettkampf für ein Setup entscheiden müssen. «Dieses passt dann aber nicht überall auf der Strecke, was die Sache gefährlich macht.» Mougin spricht zwar nicht konkret die Strecke in Jasna an («Ich war nicht dort»), genau sein Fazit zog aber auch Lara Gut-Behrami (32) nach dem Riesenslalom. «Wir fuhren auf einer Mischung aus Eis und sehr aggressivem Schnee. Das hat viele überrascht», so die Tessinerin.
Für Mougin wäre eine weitere Verbesserung rasch umsetzbar. «Wir müssen endlich schnittfeste Anzüge obligatorisch machen. Sie sind für einige vielleicht nicht so angenehm zu tragen, würden aber Beinverletzungen wie bei Kilde vorbeugen.» Ein «Gamechanger», also ein entscheidender Schritt in der Verletzungsprävention, wäre für ihn aber die «intelligente» Ski-Bindung. Denn: Das Knie sei die grösste Problemzone der Skirennfahrer.
Wie diese Bindung funktionieren soll? Die Idee ist, dass vor einem Sturz ein von Algorithmen definiertes Signal vom Airbag automatisch zur Bindung gesendet wird – diese würde sich dann öffnen. «Die FIS und die Bindungsfirmen sind an einem solchen Projekt dran. Aber es ist extrem teuer und wird noch lange dauern, bis hier tatsächlich etwas spruchreif ist.»
Plaschy: «Der Regeneration mehr Sorge tragen»
Das weiss auch Didier Plaschy. Der Slalom-Altmeister nennt einen weiteren, für ihn wichtigen Aspekt bei der Verletzungsprophylaxe: «Ich finde, dass man der Regeneration und der richtigen Ernährung mehr Sorge tragen sollte. Dazu kommt das Training zwischen den Wettkämpfen – hier wird oft zu viel gemacht. Wichtiger wäre es, vor dem Winter die ganze Basis zu legen.»
Sicher ist: Das Thema Sicherheit im Skisport wird noch lange zu reden geben – eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht.