Ski-Legende Accola spricht Klartext
«Viele Athleten trainieren falsch!»

Was ist ausschlaggebend für die Verletzungsmisere im Skisport? Paul Accola stellt eine überraschende These auf.
Publiziert: 11:49 Uhr
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Aktualisiert: 13:49 Uhr
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Querdenker: Ski-Legende Paul Accola.
Foto: URS BUCHER
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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Der alpine Rennsport steht am Scheideweg. Seit sich in der Altjahrswoche in Bormio innerhalb von drei Tagen mit Cyprien Sarrazin (Fr, 30, Hirnblutung), Gino Caviezel (Sz, 32, Totalschaden im rechten Knie), Josua Mettler (Sz, 26, Kreuzbandriss in beiden Knien) und Pietro Zazzi (It, 30, Schien- und Wadenbeinbruch) vier Athleten schwer verletzt haben, sind sich im Skizirkus alle einig, dass es so nicht weiter gehen kann. Bezüglich Verbesserungsmassnahmen herrscht jedoch Uneinigkeit. Während ein Grossteil der Rennfahrer das grösste Verbesserungspotenzial in der Präparation der Piste erkennt, fordern TV-Experten wie der Österreicher Hans Knauss eine Entschärfung des Materials. Jetzt meldet sich mit dem Davoser Paul Accola einer der grössten Querdenker in der Skigeschichte zu Wort.

Sarrazin stürzt schwer im Training von Bormio
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Rücklage bei Sprung:Sarrazin stürzt schwer im Training von Bormio

Der Gesamtweltcupsieger der Saison 1991/92 ist davon überzeugt, «dass viele Athleten im Sommer falsch trainieren!» Der Bronze-Gewinner in der Olympia-Kombination 1988 wird konkret: «Es mangelt am ganzheitlichen Training. Viele Rennfahrer legen im Kraftraum den grössten Wert darauf, dass die Oberschenkel richtig dick werden. Aber die Bänder werden dadurch nicht dicker. Und wenn sie ihre Hanteln heben, sind sie immer in der guten Position. Aber wenn sie auf den Ski in Rücklage geraten, wirken andere Kräfte. Und deshalb reissen wie im Fall von Marcel Hirscher in genau diesen Situationen so oft die Kreuzbänder.»

«Das ist kompletter Blödsinn!»

Accola erinnert daran, «dass ein Mike von Grünigen, Urs Kälin und ich nie eine gravierende Bänderverletzung erlitten haben, obwohl auch wir in den späten 90er-Jahren auf die wesentlich aggressiveren Carvingski umgestiegen sind.» Was hat die Generation Accola damals in der Saisonvorbereitung anders gemacht? «Ich bin sehr oft eine möglichst steile Strecke hinaufgelaufen. Das war nicht nur gut für die Ausdauer, das war auch ein sehr gutes Krafttraining. Danach bin ich so schnell wie möglich hinuntergerannt. Weil ich dadurch sehr oft sehr schnell reagieren musste, weil ein Stein oder eine Wurzel im Weg stand, habe ich meine Feinmotorik gefördert.»

Der grösste Fehler wird gemäss Accola aber bereits in der Jugendarbeit gemacht: «Ein Grossteil der Skirennfahrer kann nicht richtig mit dem Element Schnee umgehen, weil bereits im JO-Alter fast ausschliesslich auf einer perfekt präparierten Strecke in den Toren trainiert wird. Deshalb sind sie später überfordert, wenn eine Weltcup-Piste plötzlich Schläge oder Löcher aufweist. Dass Marco Odermatt auch diesbezüglich eine grosse Ausnahme darstellt, liegt meines Erachtens daran, dass er in seiner Kindheit viel Zeit mit Pulverschneefahren oder auf der Buckelpiste verbracht hat.»

Der dreifache Familienvater setzt seinen Angriff auf die Jugendtrainer fort: «Es ist ein kompletter Blödsinn, dass die Kinder im Sommer so viele Gletscher-Skitage absolvieren. Das führt zum einen dazu, dass viele Nachwuchstalente zu Beginn des Winters nicht mehr richtig giggerig auf Schnee sind. Und weil diese Gletscher-Camps sehr teuer sind, können sich fast nur noch die Kinder von reichen Eltern den Skirennsport leisten. Ein Bauernbub, wie ich einer war, hat in der heutigen Zeit kaum noch eine Chance!»

«Sarrazin ist selber Schuld!»

Das sei aber nicht der einzige Grund, warum zu viele Skitalente auf der Strecke bleiben. «Ich habe 1988 mit 21 Jahren dank einer Top-10-Klassierung im Weltcup und der Bestzeit im Olympia-Kombi-Slalom den Sprung in die erste Slalom-Startgruppe geschafft. Heute benötigt man mindestens 50 Weltcuppunkte, bis man in einer Disziplin in den Top 30 der Liste rangiert. Weil das bei vielen Athleten zu lange dauert, geben sie auf. Es wird höchste Zeit, dass dieses Punktesystem überarbeitet wird.»

Doch was hat in Bormio nun wirklich den Ausschlag gegeben, dass ein routinierterer Weltklassemann wie Cyprien Sarrazin so schwer gestürzt ist? Accolas Antwort: «Sarrazin ist selber Schuld, er ist viel zu unkontrolliert über diese Kante gefahren. Eine solche Kante musst du als Abfahrer regelrecht fressen.»

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