Als Bode Miller im Dezember 2004 innerhalb von vier Wochen in allen vier Alpin-Disziplinen einen Weltcupsieg einfährt, ist Marco Schwarz ein neunjähriger Knirps. In der Zwischenzeit hat sich der Kärntner derart stark entwickelt, dass er im kommenden Winter als erster Rennfahrer seit dem Amerikaner in der Abfahrt, im Super-G, im Riesen- und im Slalom triumphieren könnte.
In der letzten Saison schaffte er bereits in drei von vier Sparten den Sprung aufs «Stockerl». In der Abfahrt konnte er sich in den Top 6 klassieren. Und es gab auch neben der Piste eine Episode, mit der «Blacky» aus der Alpenrepublik an den legendären Ski-Hippie Miller erinnerte.
Griechenlands Slalom-Sensation AJ Ginnis (28, WM-Silber-Gewinner) hat diese beim Weltcup-Finale in Andorra hautnah miterlebt. «Ich gab bei der Abschlussfeier in Soldeu ja auch selber Vollgas. Trotzdem belegte ich in der Kategorie Party hinter den beiden Marcos Schwarz und Odermatt nur den dritten Platz.»
Schwarz reagiert auf die nächtliche Expertise seines griechischen Kumpels mit einem spitzbübischen Grinsen und erinnert an den uralten Schlager-Titel von Freddy Quinn: «Mann muss die Feste feiern, wie sie fallen. Es ist ganz klar, dass wir Leistungssportler während der Wettkampf-Saison im Nachtleben nie übertreiben sollten. Aber am Ende eines Winters will ich auch mal mit meinem Kollegen anstossen und richtig Spass haben.»
Zu viel Babyspeck
Zu Beginn seiner Profi-Laufbahn war Schwarz zu geniesserisch veranlagt. «Ich habe zwar immer gern trainiert, aber eben noch lieber gegessen. Ganz besonders Süssspeisen.» Auf Junioren-Stufe wurde ihm das daraus resultierende Übergewicht zwar noch nicht zum Verhängnis. Im Gegenteil: «2014 habe ich bei der Junioren-WM in Jasna sehr wahrscheinlich auch deshalb Gold im Super-G und Bronze in der Abfahrt gewonnen, weil mir die zusätzlichen Kilos in den zahlreichen Gleitabschnitten Schub verliehen haben.»
Doch nach seiner ersten Begegnung mit seinem jetzigen Cheftrainer Marko Pfeifer war endgültig Schluss mit lustig. Pfeifer erzählt das Kapitel, das das Leben seines Schützlings komplett verändert hat. «Als ich im Frühling 2013 die österreichische Slalom-Mannschaft übernahm, war klar, dass die in die Jahre gekommenen Champions Benni Reich, Mario Matt oder Reinfried Herbst bald zurücktreten. Ich musste deshalb junge Leute nachziehen. Weil sich im Europacup keiner aufdrängte, lud ich aufgrund seiner starken Junioren-Ergebnisse Marco Schwarz zu einem Training auf der Reiteralm ein. Nach seiner ersten Darbietung war ich jedoch schockiert!» Warum? «Es sah fürchterlich aus, wie der Blacky den Steilhang fuhr. Bevor ich einen Blick auf seine Zeit warf, war ich mir sicher, dass er auf einen Raich oder Matt fünf Sekunden verloren hat.»
Der erstaunliche Wandel
Doch für einmal täuschte sich Pfeifer – «Blacky» war bei seinem ersten Trainingsvergleich mit den ÖSV-Superstars knapp zweieinhalb Sekunden langsamer. «Als ich mich nach dem Training mit ihm zusammensetzte, wurde mir schnell klar, dass man bei diesem Burschen mindestens eine Sekunde herausholen kann, wenn er zehn Kilo abspeckt. Ich habe Marco Sondereinheiten mit unserem Konditionstrainer organisiert und ihm beim Abendessen den Gang ans Dessertbuffet verboten.»
«Schleifer» Pfeifer entdeckte aber noch zwei andere Defizite: «Beim ersten Gespräch mit Marco wurde mir klar, dass er keine Ahnung von der Abstimmung seines Materials hat. Er wusste nicht, dass man das Canting, also die Neigung des Skischuhs, verändern kann. Somit war klar, dass er in diesem Bereich eine weitere Sekunde herausholen kann.»
Obwohl sich Schwarz danach im körperlichen Bereich wie im Material-Sektor schnell verbessert hat, blieb bei seinem Übungsleiter lange eine ordentliche Portion Skepsis hängen. «Aufgrund seiner technischen Schwächen habe ich lange nicht daran geglaubt, dass Blacky eines Tages auf so steilen Hängen wie in Schladming in die Top 10 fahren kann.»
Doch Schwarz hat seinem Chef bereits im Dezember 2015 mit dem dritten Rang auf dem steilen Slalom-Berg von Madonna di Campiglio das Gegenteil bewiesen. Im Januar 2021 triumphiert er auch beim «Zickzack»-Klassiker auf der Schladminger Planai. «Marco hat sich mit seiner mustergültigen Einstellung, seinem enormen Fleiss zu einem Top-Allrounder entwickelt», schwärmt Pfeifer.
Dreikampf mit Odermatt und Kilde?
Noch fehlt ihm in der Abfahrt auf der höchsten Stufe die Platzierung in den Top 3. Doch vor neun Monaten lieferte Schwarz in der Königsdisziplin eine herausragende Leistung ab. Am Lauberhorn bestritt der 28-Jährige seine erste Weltcup-Abfahrt. Und obwohl er mit Startnummer 31 keine idealen Bedingungen vorfand, donnerte der 1,85-Meter-Mann auf den sechsten Rang!
Vor der neuen Saison stellt sich bei Marco Schwarz aber vor allem eine Frage: Wird er als einziger Athlet sämtliche Weltcuprennen bestreiten? Cheftrainer Pfeifer schüttelt den Kopf: «Bis zu den Rennen Mitte Dezember in Val d’Isère möchte ich Marco in allen vier Disziplinen einsetzen. Danach wird er aufgrund der Programm-Dichte sicher auf das eine oder andere Rennen verzichten.»
Angesprochen auf seine Ambitionen auf den Sieg im Gesamtweltcup antwortet Schwarz: «Wenn man in Betracht zieht, mit welcher Konstanz Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde in den letzten beiden Jahren Top-Ergebnisse eingefahren haben, müsste ich noch einmal über mich hinauswachsen, um eine Chance auf die grosse Kugel zu haben.»
Aber weil Schwarz im letzten Sommer im Kraft- und Konditionsbereich noch härter gearbeitet hat, stehen die Chancen gut, dass er am Ende der Saison wieder allen Grund für eine krachende Party haben wird.