Odermatt und Flury im Doppel-Interview
«Sie dürfen Lord zu mir sagen!»

Die Schweizer Skifahrer Jasmine Flury und Marco Odermatt sind beide Abfahrtsweltmeister. Erstmals haben sie nun zusammen ein Interviewtermin gehabt. Dort sprechen sie über Spitznamen, Erfolge und Respekt vor dem Rennen.
Publiziert: 16.01.2024 um 20:30 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 15:27 Uhr
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Marco Odermatt und Jasmine Flury im gemeinsamen Fotoshooting.
Foto: Flavio Leone

Jasmine Flury, Marco Odermatt, Sie sind Weltmeister in der Königsdisziplin Abfahrt. Wie darf man eine Skikönigin respektive einen Skikönig ansprechen?
Jasmine Flury: Nennen Sie mich Jasmine. Der WM-Titel hat mich nicht verändert.
Marco Odermatt: Sie dürfen Lord zu mir sagen!
Flury: Lord Marco – das tönt doch gut (beide lachen herzhaft).
Odermatt: Spass beiseite: Ich bin Marco.

Wie nennen Sie eigentlich Ihre Freunde und Ihre Familie? Haben Sie einen Spitznamen, den Sie uns hier mal verraten können?
Odermatt: Zu Hause und bei meinen Freunden bin ich einfach Marco. In der Öffentlichkeit oder unter Fans kommt jetzt aber schon häufiger Odi.
Flury: Früher hatte ich diverse Spitznamen, heute nennen mich meine Freunde manchmal nur beim Nachnamen.

Die Schweiz stellt in der Königsdisziplin Abfahrt erstmals seit 36 Jahren wieder beide Weltmeister. Österreich schaffte dieses Kunststück letztmals 2001 vor über 20 Jahren. Sind Sie sich bewusst, dass Sie für ein Generationenereignis gesorgt haben?
Flury: Nein, dessen bin ich mir nicht bewusst.
Odermatt: Ich auch nicht. Ich wusste lediglich, dass das gesamte Swiss-Ski-Team in der WM-Saison 2022/2023 keinen einzigen Abfahrtssieg verzeichnen konnte.

Warum ist dieses Phänomen gerade jetzt möglich geworden?
Odermatt: Es ist reiner Zufall. Auf das WM-Rennen haben wir uns nicht anders vorbereitet als auf die anderen Weltcuprennen. Aber klar: Mir lag die WM-Strecke in Courchevel – schon ein Jahr zuvor hatte ich mich auf dieser Piste wohl gefühlt und bin beim Weltcupfinal Zweiter geworden.
Flury: Dafür gibt es keinen speziellen Grund. Auch mir behagte die WM-Strecke in Méribel. An diesem Tag ging einfach alles auf.

Sie haben vor und nach der WM-Abfahrt nie ein Weltcuprennen in dieser Disziplin gewonnen. (Am diesjährigen Lauberhornrennen konnte er zum ersten Mal eine Weltcup-Abfahrt gewinnen/Anm. d. Red.) Haben Sie eine Erklärung für diesen Exploit an der WM?
Odermatt: Ich bin bis zu meinem WM-Sieg in der Abfahrt siebenmal Zweiter geworden, in Beaver Creek fehlten mir sechs Hundertstel zum Sieg. Ich wusste: Irgendwann wird es klappen. Deshalb habe ich auch nie von Pech gesprochen. Wie gesagt: In der WM-Abfahrt von Courchevel gelang mir die perfekte Fahrt. Mir liegen Grossanlässe, weil ich dort irgendwo ein Prozent mehr herauskitzeln kann als andere Skirennfahrer.
Flury: Das kann ich von mir nicht behaupten (lacht). Vor meinem WM-Sieg stand ich einmal auf dem Abfahrtspodest. Ich bin mega froh, dass bei der WM-Abfahrt alles perfekt aufging.

Hat man bei Swiss-Ski die Abfahrt gezielt gefördert – so wie Jamaika in der Leichtathletik alles auf den prestigeträchtigen 100-Meter-Lauf setzt?
Odermatt: Nein, das würde ich so nicht sagen. Swiss-Ski investiert – wie einzelne Skifirmen auch – viel in sein Testteam, das für uns Ski- und Wachstests durchführt. Dieser Service kann entscheidende Hundertstel bringen. Die Installation von Gegenhangkameras zum Analysieren unserer Fahrten begrüsse ich ebenfalls sehr. Diese Kameras stehen uns mittlerweile fast bei jedem Rennen zur Verfügung.
Flury: Ich sehe es ähnlich. Swiss-Ski investiert vermehrt auch in seine U16-Athletinnen und -Athleten aus den drei Interregionen Ost, West und Mitte. Ich finde es erfreulich, dass Speed-Camps durchgeführt werden. Dort können die Jugendlichen ihre Speed-Fähigkeiten verbessern.

Wie möchten Sie gesehen werden – als Abfahrerin, Abfahrer oder als Allrounder?
Flury: Als Speed-Fahrerin mit einer Passion für den Riesenslalom.
Odermatt: Ich sehe mich als Allrounder, darum hat für mich auch der Gesamtweltcup einen sehr hohen Stellenwert.
Hat Sie der WM-Titel näher zusammengebracht?
Odermatt: Viel näher! (Schmunzelt.)

In diesem Moment verschüttet Jasmine Flury einen Becher Wasser auf dem Tisch.

Odermatt: He, Jasmine, du scheinst ein bisschen nervös zu sein. Habe ich dich verlegen gemacht?
Flury: Du bringst mich grad aus der Fassung (sie kugelt sich vor Lachen).
Odermatt: Jasmine und ich hatten ein-, zweimal einen gemeinsamen Termin. Wir erschienen in den Medien auch ein paarmal auf der gleichen Seite. Die entsprechenden Bilder wurden aber zusammengefügt. Ein gemeinsames Fotoshooting, so wie jetzt für die Schweizer Illustrierte, machen wir zum ersten Mal! Das sind also die ersten offiziellen Bilder von uns!

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

Welche Privilegien erkämpft man sich mit Erfolgen?
Odermatt: Einige. Ich denke an Wertschätzung, an das steigende Ansehen innerhalb des Verbands von Swiss-Ski und des Skiherstellers. Sponsoren unterbreiten bessere Verträge, man fährt ein teureres Auto, die mediale Aufmerksamkeit nimmt zu, man erhält Einladungen zu coolen Events.
Flury: Ich sehe es ähnlich wie Marco – auch wenn er eine ganz andere Nummer ist. Ich spüre vor allem mehr Aufmerksamkeit und Freude um meine Person.
Odermatt: Deine Stimme hat nach dem WM-Titel in Diskussionen mit den Trainern wahrscheinlich mehr Gewicht. Nicht wahr?
Flury: Ja, genau. Ich habe mir vermutlich mehr Gehör verschafft und werde anders wahrgenommen.

Sie führen ein Leben im Schaufenster der Öffentlichkeit. Wie nervig ist das?
Odermatt: Es gibt viele schöne Begegnungen, ab und zu auch mühsame Momente. Man ist auch nicht an jedem Tag gleich gut aufgelegt. Wenn ich irgendwo in der Sauna sitze und mein Nachbar sagt mit ausgestreckter Hand: «He, he, ich gratuliere Ihnen!», stört mich das. Unangenehm finde ich es auch, wenn ich mit meiner Freundin im Restaurant fein esse und dauernd jemand an den Tisch kommt. Ich bin etwa 100 Tage pro Jahr im Skiweltcup unterwegs. Da freue ich mich schon auf ein bisschen Ruhe zu Hause.
Flury: Wenn mich kleine Kinder ansprechen und mir ihre Freude zeigen, hüpft mein Herz. Von jemandem angesprochen zu werden, macht mir nichts aus, wenn das anständig geschieht. An das Gefühl, beobachtet zu werden, muss ich mich allerdings noch gewöhnen. Das kann mitunter unangenehm sein.

Die Abfahrt ist ein Zuschauermagnet und hat beim TV-Publikum die grösste Anziehungskraft. Was ist an der Abfahrt so faszinierend?
Flury: Die Abfahrt wird im Volksmund als Königsdisziplin bezeichnet. Mich persönlich fasziniert insbesondere die Kombination von Tempo, Gefühl und Präzision.
Odermatt: Die grosse Tradition. Mit den hohen Tempi, den Sprüngen und den verschiedenen Pisten-Charakteren ist die Abfahrt die spektakulärste Disziplin. Klassiker wie das Lauberhorn in Wengen, die Streif in Kitzbühel oder die Kandahar in Garmisch-Partenkirchen faszinieren die Menschen.

Wie sehr fährt in der Abfahrt die Angst mit?
Flury: Angst ist das falsche Wort. Aber der Respekt fährt mit. Man weiss im Starthaus, dass es nun volle Konzentration braucht, da das hohe Tempo keine groben Fehler zulässt.
Odermatt: Ich sehe es genauso. Ich hatte bisher einmal bei einer Abfahrt ein ungutes Gefühl am Start – und bin dann aus sicherheitstechnischen Gründen nicht gefahren. Es geschah am 13. Februar 2020 in Saalbach Hinterglemm. Ich kam von einer Verletzung zurück. Ich hatte die Startnummer 53. Wegen Stürzen gab es zahlreiche Unterbrüche. Die Piste wurde immer schlechter und wies viele Schläge auf. Bis zu meinem Start wäre die Sonne weg gewesen. Auf der schattigen Piste rechnete ich mir keine Chance aus.
Flury: Wenn man von einer Verletzung zurückkommt, ist man eher verunsichert. Man will sich nicht wieder verletzen. War das bei dir so, Marco?
Odermatt: Ja, der Respekt sollte schon mitfahren. Wenn du gar keinen Respekt hast vor der Strecke, so wie ich dieses Jahr bei der ersten Abfahrt in Kitzbühel, wenn du denkst, du bist derart gut in Form und gewinnst das Rennen sowieso, dann fährst du an der schwierigsten Stelle eine noch engere Linie als alle anderen – und dann geht es nicht mehr auf (Marco Odermatt wurde nach einem Beinahesturz 54., die Red.).

Erleben Sie in der Abfahrt einen Temporausch – wie muss man sich das vorstellen?
Flury: Das ist ein mega cooles Gefühl. Wie man das Tempo wahrnimmt, kommt auf die Bedingungen an. Wenn Sicht und Piste gut sind, kann es nicht schnell genug gehen; wenn Sicht und Piste schlecht sind, kommt einem das Tempo schneller vor als es ist.
Odermatt: Mir kann es eigentlich nie zu schnell gehen. Aber ich finde das Gefühl, einen coolen Sprung zu machen oder eine Kurve perfekt zu treffen, faszinierender als mit 140, 150 oder 160 Stundenkilometern die Piste runterzubrettern.

Jasmine Flury, stehen Sie als Weltmeisterin in den nächsten Weltcupabfahrten unter einem besonderen Druck, weil Sie sich beweisen wollen, dass der WM-Sieg keine Eintagsfliege ist? Ihren Präsidenten Urs Lehmann hat genau dieses Vorurteil seine ganze Karriere lang begleitet.
Flury: Nein, mit diesem Druck kann ich inzwischen umgehen. Ich habe seit meinem ersten Sieg im Weltcup 2017 vieles dazugelernt und bin erfahrener geworden. Nach meinem Erfolg im Super-G in St. Moritz bin ich am Druck fast zerbrochen. Weil in diesem Rennen nicht für alle Fahrerinnen die gleichen Bedingungen herrschten und es zeitweise stark windete, wollte ich diesen Triumph unbedingt bestätigen und mir beweisen, dass ich keine Zufallssiegerin bin. Ich werde mich kein zweites Mal so unter Druck setzen.

Sind Abfahrer als Persönlichkeiten eigentlich anders beschaffen als die Techniker?
Flury: Wir sind schon aus einem anderen Holz geschnitzt.
Odermatt: Ja. Bei den Speed-Fahrern ist die Stimmung entspannter und chilliger als bei den Technikern. Bei ihnen geht es oft hektisch zu und her. Die Anspannung ist grösser. Das ist auch ein wenig dem Programm geschuldet. Slalomfahrer gehen rasch mal irgendwo in den Bergen trainieren, reisen am Vorabend zur Startnummernauslosung an den Weltcuport, wo sie am nächsten Tag das Rennen bestreiten und gleich wieder nach Hause fahren. Die Speed-Fahrer dagegen reisen am Montag an, packen ihren Koffer mal ganz aus. Am Dienstag und Mittwoch ist Training, jeder ist easy drauf, am Donnerstag findet auch mal nichts statt. Am Abend sitzt man auch mal länger zusammen. Freundschaften lassen sich im Speed-Bereich auch mit Athleten aus anderen Nationen pflegen.

Haben Sie ein Idol?
Odermatt: Didier Cuche war mein Idol, als ich ein kleiner Bub war. Seit ein paar Jahren habe ich kein Idol mehr.
Flury: Mein Idol war Sonja Nef. Von ihr hatte ich ein Poster in meinem Zimmer aufgehängt. Später habe ich auch Didier Cuche bewundert. Und ja: Auch ich blicke ein wenig zu Roger Federer auf – wie das wohl jede und jeder auf dieser Welt macht.

Marco Odermatt, schauen Sie Jasmine Flurys Rennen im Fernsehen?
Odermatt: In neun von zehn Fällen fahre ich zu diesem Zeitpunkt selbst Rennen. Aber wenn es zeitlich aufgeht, schaue ich die Frauenrennen mit grossem Interesse.

Und Sie, Jasmine Flury?
Flury: Ja, ich verfolge die Männer-Skirennen im Fernsehen, wann immer ich kann. Häufig schaue ich mir auch Aufzeichnungen an. Sport interessiert mich generell.

Was denn so zum Beispiel?
Flury: Tennis fasziniert mich besonders, aber ich verfolge wirklich alles, was gerade aktuell ist.

Welchen Traum möchten Sie sich erfüllen?
Odermatt: Ich habe mir schon viele Träume erfüllen dürfen. Nach meiner Skikarriere werden sicher private Träume dazukommen. Dannzumal werde ich auch mehr Zeit haben für andere Sachen, die jetzt zu kurz kommen.
Flury: Weniger ein Traum als vielmehr ein Ziel sind die Olympischen Spiele. An meinen dritten Winterspielen möchte ich den olympischen Geist spüren, so wie ich ihn mir als Kind immer vorgestellt habe. In Pyeongchang 2018 und Peking 2022 kam keine Skifeststimmung auf. Die Rennen verliefen ruhig, es waren aufgrund der Coronamassnahmen nur wenige Zuschauer im Stadion. Das wird 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo anders sein. Und ich freue mich darauf. In Europa hat der Skisport einen ganz anderen Stellenwert als in Asien.

Übernachten Sie im Einzelzimmer oder im Doppelzimmer?
Odermatt: Das variiert. Zu Coronazeiten bekamen wir alle Einzelzimmer. Wenn wir heute länger an einem Ort sind, ist das immer noch so. Im Trainingslager und bei einzelnen Rennen übernachte ich aber im Doppelzimmer. Meistens mit Justin Murisier.
Flury: Bei mir ist es ähnlich. Manchmal bekomme ich ein Einzelzimmer, ab und zu übernachte ich im Doppelzimmer mit Corinne Suter oder Joana Hählen.

Bevorzugen Sie das Einzelzimmer? Ist es ein Privileg, ein solches zu erhalten?
Odermatt: Bei Trainings habe ich nur selten ein Einzelzimmer, bei Rennen dafür relativ oft. Das Einzelzimmer hat sicher gewisse Vorteile. Privatsphäre zu haben, ist immer schön, besonders wenn man sonst schon fast jeden Tag zusammen ist und die Skisaison gegen Ende langsam lang wird. Von daher ist es ein Privileg. Da ich aber super Teamkameraden habe, ist es auch immer lustig, wenn man zu zweit im Zimmer ist. Am liebsten habe ich Wohnungen. Da ist man mit mehreren zusammen in der Wohnung, hat aber sein eigenes Zimmer.

Haben Sie als Weltmeisterin nicht das Privileg, im Einzelzimmer zu übernachten?
Flury: Im vergangenen Sommer und in der Vorbereitung in Argentinien hatte ich die Möglichkeit, ein Einzelzimmer zu beziehen. Das schätze ich sehr. Ich geniesse diesen Rückzugsort und die Ruhe.

Wie gross ist eigentlich der Anteil Material im Skisport, und wie viel macht der Athlet, die Athletin und deren Können aus – 80:20, 50:50?
Odermatt: Ein prozentuales Verhältnis zu errechnen, ist schwierig. Was ich sagen kann: Wenn das Gesamtpaket Ski, Bindung, Platte und Schuh nicht passt, gewinnt man kein einziges Rennen. Das Material gibt dem Athleten die Grundlage und die Voraussetzung, um überhaupt erst die Möglichkeit zu haben, ein Rennen zu gewinnen. Wenn die Ausrüstung nicht stimmt, bist du langsamer respektive kannst du deine Technik nicht so zur Geltung bringen, wie du willst. Ski Alpin ist vom Material her ein High-Performance-Sport und mit der Formel 1 zu vergleichen. Dort ist die Materialabstimmung aber noch extremer.
Flury: Das Material hat grossen Anteil. Viel spielt sich aber auch im Kopf der Athletin ab. Sie muss Vertrauen haben zum Material und zu ihrem Umfeld. Das Team muss harmonieren und zusammenspielen. Das sind beste Voraussetzungen, um Rennen zu gewinnen.

Wie ist es möglich, dass nach einem Skimarkenwechsel oder mit einem anderen Set-up plötzlich nichts mehr geht, wie es etwa Michelle Gisin oder Camille Rast im vergangenen Winter erlebt haben?
Odermatt: Ich habe in meiner Karriere noch nie einen Skimarkenwechsel vollzogen. Ich bin stets für Stöckli gefahren. Das Set-up hingegen wechsle ich häufig. Ich kann mich jeweils sehr schnell anpassen. Ich fahre oft ein Set-up, das Selbstvertrauen und Power braucht und Selbstbestimmung erfordert. Aber klar: Wenns einem nicht so gut läuft, fängt man zu pröbeln an. Dann passt das Set-up möglicherweise nicht mehr zu deinem Fahrstil. Der Teufelskreis beginnt.
Flury: Ich habe gerade von Fischer zu Kästle gewechselt. Jeder Skimarkenwechsel ist mit einem gewissen Risiko verbunden. Die Materialabstimmung ist ein ständiger Prozess. Entscheidet man sich einmal für den falschen Abzweiger, landet man in einer Sackgasse. Dann muss man einen Schritt zurückgehen, um wieder in die Erfolgsspur zu gelangen. Das braucht Vertrauen in den Servicemann und in die Skifirma. Dieses Umfeld habe ich bei Kästle gefunden.

Was passiert, wenn andere im Training immer schneller sind – beisst man da in die Tischplatte?
Odermatt: Es kommt bei mir nicht oft vor, dass ich über Tage oder Wochen nicht vom Fleck komme. Nicht alle fahren im Training gleich stark. Justin Murisier, um ein Beispiel zu nennen, fährt im Training nie schnell, im Rennen ist er aber stets dabei. Bei anderen ist es gerade umgekehrt. Ich würde mich als guten Trainingsathleten und noch etwas besseren Wettkämpfer bezeichnen.
Flury: Training und Rennen sind zwei Paar Schuhe. Es gibt Trainingsweltmeister und Wettkampftypen. Die eigene Leistung aufgrund der Zeit einer Konkurrentin zu beurteilen, finde ich wenig aufschlussreich. Vielleicht hat diese Konkurrentin bei ihrer Trainingsfahrt ja neues Material getestet oder eine spezielle Linie ausprobiert. Ich will mich auf diejenigen Aspekte konzentrieren, die ich selbst beeinflussen kann.

Sind Freundschaften über die Teamgrenzen hinaus, wie es sie zwischen Franz Klammer und Bernhard Russi oder Rafael Nadal und Roger Federer trotz grosser Rivalität gibt, auch im Skisport möglich? Pflegen Sie selber so ein Verhältnis, etwa mit Marco Schwarz oder Sofia Goggia?
Odermatt: Wir pflegen einen respektvollen Umgang miteinander. Ich würde jetzt aber nicht von einer engen Freundschaft mit Marco Schwarz sprechen, sondern vielmehr von einer guten Kameradschaft. Im Sommertraining bin ich hauptsächlich mit dem Schweizer Team unterwegs. Wir sind bereits eine starke Truppe, die selten mit anderen Nationen trainiert oder gemeinsame Läufe bestreitet.
Flury: Von einer Freundschaft spreche ich dann, wenn ich jemanden richtig gut kenne. Corinne Suter ist meine Freundin. Wir sind auch in unserer Freizeit gemeinsam unterwegs. Mit Sofia Goggia beispielsweise pflege ich keine solche Freundschaft. Aber ich habe grossen Respekt vor ihr.

Kehren wir zum Schluss nochmals zurück zu Ihrem Status als Königin, als König. Wenn Sie einen Tag in der Schweiz regieren dürften, welches Gesetz würden Sie erlassen?
Odermatt: Keines. Aber ich würde für die Freiheit kämpfen. Wir haben die Coronapandemie in der Schweiz sehr gut gemeistert. Aber die Einschränkungen aufgrund der Schutzmassnahmen fand ich schon einschneidend.
Flury: Mir fällt nichts Konkretes ein. Ich bin mit der Situation in der Schweiz sehr zufrieden. Logisch gibt es Sachen, die man verbessern oder verändern könnte. Ich glaube nicht, dass ich die richtige Person wäre, ein solches Gesetz zu erlassen. Da gibt es kompetente Leute, die das besser im Griff haben. Deshalb üben sie auch diesen Job aus, und ich versuche, meinen so gut wie möglich zu machen.

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