Er hat sich noch einmal so viel vorgenommen. Weil er der ganzen Ski-Welt beweisen wollte, dass er mit seinen eigenen Van-Deer-Ski aufs «Stockerl» fahren kann, hat Marcel Hirscher für sein Comeback mit 35 Jahren einen enormen Aufwand betrieben. Viel Geld investiert. Aber nun deutet alles darauf hin, dass der gebürtige Salzburger, welcher für sein Mutterland Holland auf die grosse Alpine-Skibühne zurückgekehrt ist, für all diese Entbehrungen nicht belohnt wird.
Nach einem ordentlichen Auftakt in Sölden (Rang 23), musste der achtfache Gesamtweltcupsieger bei den Slaloms in Levi (Rang 45) und Gurgl (Out im ersten Lauf) zwei schmerzliche Nullnummern in Kauf nehmen. Deshalb hat er für den Riesenslalom vom kommenden Sonntag in Beaver Creek Forfait erklärt. Stattdessen wollte sich der Mann mit 67 Weltcup-Einzelsiegen auf dem Konto mit einer Trainings-Session auf der steirischen Reiteralm für den Riesen- und Slalom in Val-d’Isère (14/15. Dezember) in Schwung bringen. Dort unterläuft ihm am Montag das schmerzliche Malheur. Im Riesenslalom-Training bekommt der Olympiasieger von 2018 in einer Kompression einen Schlag aufs Knie. Hirscher beginnt laut zu schreien, es ist sofort klar, dass es sich um eine gröbere Verletzung handelt.
«Marcel hat es mit der Brechstange versucht»
Ein paar Stunden später erhält er von seinem Arzt die ultimative Diagnose, welche gleichbedeutend mit dem vorzeitigen Saisonende ist: Kreuzbandriss im rechten Knie mit einer leichten Verletzung des äusseren Kapselapparats. Damit ist die Saison für den «Oranje» gelaufen. Vor der Operation in einem Grazer Spital telefoniert der leidgeprüfte Altmeister mit Felix Neureuther (De, 40, 13 Weltcupsiege).
Obwohl Hirscher und der Bayer zwischen 2012 und 2019 auf der Piste die schärfsten Widersacher waren, pflegen die beiden heute einen freundschaftlichen Kontakt. «Marcel war bei diesem Telefonat verständlicherweise komplett niedergeschlagen», sagt Neureuther zu Blick. «Die Erkenntnis, dass er den Ski-Fans in diesem Winter nicht mehr zeigen kann, was er wirklich drauf gehabt hätte, fällt ihm besonders schwer.» Für Neureuther ist offensichtlich, «dass Marcel diesen Kreuzbandriss erlitten hat, weil er nach den Enttäuschungen in den letzten beiden Rennen mit der Brechstange zu Werke gegangen ist. In seiner sportlichen Blütezeit hat er keine einzige Bänder-Verletzung erlitten.»
Gibt es in diesem Drama eine sensationelle Pointe?
Wird Hirscher seine Karriere nun endgültig beenden? «Bis Marcel diese Frage endgültig beantworten kann, wird er im Spital sämtliche Gedanken und Emotionen sacken lassen müssen. Aber es ist schon jetzt klar, dass die Reha nach einem Kreuzbandriss in seinem Alter einer besonders zähen Angelegenheit gleichkommt.» Anders ausgedrückt: Wenn sich Hirscher noch einmal zu einem Comeback aufraffen würde, käme das einer grossen Überraschung gleich. Aber bekanntlich ist dieser Ausnahme-Athlet immer wieder für eine sensationelle Pointe gut.