Bei der Ski-WM im Februar blieb Jasmine Flury auf dem Trockenen sitzen. WM-Gold hatte sie in der Abfahrt gewonnen – Flüssiges gab es bei der Siegerehrung aber nicht. Sie war enttäuscht. «Darum muss ich schauen, dass ich wieder gewinne, damit ich doch noch Champagner trinken darf», meinte die 30-Jährige vor einigen Wochen. Warum ihr der Champagner so wichtig ist? Einfach: Flury ist Fan von Formel-1-Fahrer Lando Norris (24). Vor allem mag sie die Art, wie der Brite auf dem Podest feiert: Er hält den Flaschenhals mit beiden Händen, knallt die Flasche auf den Boden und der Korken fliegt von selbst raus. «Das finde ich sehr cool», so Flury.
Zehn Monate nach ihrem Ritt zu WM-Gold erfüllt sich Flury ihren Wunsch doch noch. In Val d’Isère (Fr) gewinnt sie erstmals überhaupt eine Weltcupabfahrt und lässt es auf dem Podest krachen – genauso wie Norris. «Endlich hats geklappt – mega cool», sagt sie. Teamkollegin Joana Hählen (31), hinter Flury Zweite, wird ordentlich geduscht – die Bernerin überzeugt aber mit ihrem Konter. «Es ist mega schön, mit Jasmine auf dem Podest zu stehen», so Hählen.
Kurz darauf erhält Flury auch noch ein Kälbchen. Ein Kälbchen? Das ist der traditionelle Lebendpreis, welcher Siegerinnen im Nobelskiort erhalten. «Ich habe es Samira getauft», sagt Flury – es ist eine Hommage an ihre Nichte, die ihr so viel bedeutet. Berührungsängste mit dem Kalb hat Flury übrigens nicht. Sie wuchs in Monstein bei Davos GR mit vielen Tieren auf – darunter 20 Milchkühe.
Kästle-Raketen an den Füssen
Den Erfolg verdient sich Flury mit einer Fahrt auf Messers Schneide. Bei strahlendem Sonnenschein und teils eisiger Piste verschlägt es ihr zuweilen die Ski – sie lässt sich aber nicht einschüchtern, sondern fährt mutig weiter. Im Ziel leuchtet Grün auf. Weil Flury aber die Startnummer 6 trägt, traut sie dem Braten nicht. Noch nicht. Eine Stunde später steht ihr Sieg fest.
Besonders glücklich macht dies Rainer Nachbaur, Rennchef von Flurys Skimarke Kästle. Der Österreicher sagt schmunzelnd: «Ich habe Jasmine soeben gefragt, ob sie es bereut hat, zu uns zu kommen.» Der Hintergrund: Flury wechselte trotz WM-Goldmedaille von Fischer zu Kästle. Das brachte ihr einige schlaflose Nächte ein, «letztlich hörte ich aber auf mein Bauchgefühl». Und siehe da: In Val d'Isère hat Flury Raketen an den Füssen. Nachbaur: «Der Schnee war kompakt, manchmal extrem eisig, etwa minus 10 Grad kalt. Einfach perfekt. Ich bin sehr glücklich für Jasmine, aber auch für unsere kleine Firma – alle haben dies verdient.»
Zurbriggen: «Freue mich riesig»
Klein? Ja, Kästle hat im Vergleich zu den grossen Skimarken Head, Atomic und Rossignol ein vielfach geringeres Budget und nur wenige Athleten unter Vertrag.
Berühmt ist das österreichische Unternehmen, das nach mehreren Jahrzehnten Pause 2019 wieder in den Weltcup zurückkehrte, dennoch. Warum? Vor allem wegen Pirmin Zurbriggen (51), der auf den Latten zum Ski-Helden wurde. Blick erreicht die Walliser Legende am Telefon: «Rainer war einst mein Servicemann, er hat 1989 und 1990 meine Ski gemacht. Ich freue mich riesig für ihn, aber natürlich auch für Jasmine. Weil ich gerade an einem Jugendrennen in Zermatt auf der Piste bin, werde ich mir ihre Fahrt am Abend vor dem TV mit grossem Genuss ansehen.»
Flury ist damit die erste Person mit Schweizer Pass seit Zurbriggen, die auf Kästle gewinnt. Sie will ihren Erfolg geniessen – trotz der Nachwirkungen ihrer Erkältung und dem nervenden Husten. «Anstossen werden wir heute schon noch.» Womit? Das ist offen. «A Glaserl» werde es jedenfalls geben, so Nachbaur.
Reissverschluss-Panne macht Hählen heiss
Nicht nur Flury hat allen Grund, um zu strahlen. Auch Hählen ist hochzufrieden. In Val d’Isère knackte sie 2017 erstmals die Top-5 im Weltcup, hier verletzte sie sich danach aber zweimal. «Bislang hatte ich eine Hassliebe zu diesem Ort, nun ist daraus eine grosse Liebe entstanden», sagt sie.
Und wer weiss: Vielleicht war ein Malheur für ihren fünften Weltcuppodestplatz entscheidend. «40 Sekunden vor dem Start habe ich mich gebückt, der Reissverschluss am Rücken ging kaputt. Machen konnte man nichts mehr – also fuhr ich los», meint sie lachend. Tatsächlich ist Hählen danach im Kampfmodus unterwegs – genau das braucht sie, dann vertraut sie ihrem Instinkt. Es zahlt sich aus.
300 Punkte in einer Abfahrt – historisch
Und die weiteren Schweizerinnen? Mit Priska Nufer (Rang 6) sticht eine weitere aus der zweiten Garde, während Corinne Suter (Platz 10), Lara Gut-Behrami (11.) und Delia Durrer (15.) das starke Team-Resultat abrunden.
Insgesamt schauen 300 Punkte heraus – seit der Jahrtausendwende waren es in der Abfahrt nie mehr. Die Statistik rundet den Schweizer Traumtag in Val d’Isère ab – mit Flury als grosse Siegerin.