Rund zehn Kilometer von Franjo von Allmens Wohnsitz in Boltigen BE entfernt steht in Därstetten BE das Elternhaus des 21-jährigen Livio Hiltbrand. In der Vitrine des gelernten Maurers hängen wie beim zwei Jahre älteren von Allmen zwei WM-Goldmedaillen – 2023 erkämpfte sich Hiltbrand den Junioren-Weltmeistertitel im Super-G, im letzten Jahr sicherte sich der 1,70-Meter-Mann die Nachwuchs-Krone in der Abfahrt.
Und es gibt zahlreiche Weltcup-Insider, die sich sicher sind, dass der Berner Oberländer schon bald auf der höchsten Stufe Top-Ergebnisse einfahren wird. «Ich durfte in den letzten Jahren einige Top-Talente betreuen. Aber ich habe selten einen Athleten mit einer derart schnellen Auffassungsgabe wie Livio erlebt», schwärmt Swiss-Ski-Trainer Vitus Lüönd. «Wenn man Livio auf einer für ihn neuen Strecke eine Schlüsselstelle erklärt, benötigt er in den meisten Fällen nur eine Fahrt, um es richtig umzusetzen. Er besticht zudem mit einem herausragenden Skigefühl und einer hohen Rennintelligenz. Trotz seiner Jugend erkennt Hiltbrand wie ein Routinier, in welcher Passage er die Ski kompromisslos laufenlassen kann und wo man taktieren muss», führt der Erfolgscoach aus.
Aussergewöhnliche Entscheidung
Wie reif der Fischer-Pilot bereits ist, zeigt nicht zuletzt eine Entscheidung, die er im Januar getroffen hat – damals entschied sich Hiltbrand gegen einen Start bei der Lauberhornabfahrt und für die Teilnahme am Europacup. «Aktuell bin ich in diesem extrem starken Schweizer Speed-Team die Nummer 10. Wenn im nächsten Jahr mit Niels Hintermann ein weiterer Weltcupsieger zurückkehrt, werde ich in der teaminternen Hierarchie noch etwas weiter zurückfallen. Deshalb werde ich auf der höchsten Stufe wohl nur zum Einsatz kommen, wenn ich mir auch in diesem Winter mit einer Top-Platzierung im Europacup einen Fixplatz im Weltcup sichere», sagte Hiltbrand damals.
Aktuell deutet alles darauf hin, dass die Simmentaler Antwort auf Beat Feuz im nächsten Winter einen fixen Startplatz im Weltcup haben wird. Vor dem letzten Rennen liegt Hiltbrand in der Abfahrtsgesamtwertung im Europacup an der Spitze.
Die letzten Defizite
Im Weltcup hat das Top-Talent bislang sechs Rennen bestritten, zweimal schaffte es den Sprung in die Punkteränge. Im Dezember verpasste Hiltbrand in Gröden als 17. eine Top-Ten-Platzierung nur um knapp vier Zehntel. Bei der letzten Abfahrt in Crans-Montana fuhr er mit der Startnummer 33 auf Rang 23.
Und nun kehrt Livio mit dem Weltcup-Zirkus in Kvitfjell (Norwegen) auf die Piste zurück, auf der er im Vorjahr beim Europacup-Finale triumphierte. Vor dem Start macht Trainer Lüönd aber klar, dass Hiltbrand für den Sprung an die Weltspitze schon noch einiges tun muss: «Livio muss seine Grundtechnik im Riesenslalom noch ein bisschen verbessern. Und im Vergleich zu den Top-Athleten Odermatt oder Meillard ist er körperlich noch nicht austrainiert, was auf seine Jugend zurückzuführen ist. Deshalb weist Livio auch noch Defizite bezüglich der Konstanz auf, von sieben Trainingsläufen sind meistens nur vier richtig top.»
Wir dürfen jedoch davon ausgehen, dass Livio Hiltbrand die Mängel im Kraft- und Ausdauerbereich bald ausmerzen wird. Schliesslich arbeitet er mit dem renommierten Athletiktrainer Roland Fuchs zusammen, der die Schwinger Kilian Wenger und Matthias Glarner zu echten Königen geformt hat.