So hat man Michelle Gisin selten erlebt. Nach dem Interview mit SRF läuft sie an den weiteren Journalisten vorbei. «Sorry, heute nicht. Ich habe schon genug gesagt», meint sie. Der Frust der Engelbergerin ist nicht nur verständlich, sondern ihr auch ins Gesicht geschrieben. Minutenlang versuchen Vater Beat und Technik-Trainer Denis Wicki, sie zu trösten. Es ist nicht möglich.
Der sechste Rang (bei 18 Klassierten) mit 3,43 Sekunden Rückstand auf Siegerin Brignone ist weit weg von dem, was sich die zweifache Kombi-Olympiasiegerin vorgestellt hat – Materialprobleme hin, Formschwankungen her. «Ich fuhr sowohl im Super-G als auch im Slalom zu brav. Ich habe mich einfach nicht getraut, zu riskieren. Die Angst, auszuscheiden, war zu gross», sagt sie im TV-Interview.
Es ist genau das, was Gisin am meisten nervt. Wäre sie mit einer starken Zwischenzeit beim Super-G an einem Tor vorbeigerast? Oder hätte sie im Slalom attackiert, aber eingefädelt? Mit beidem könnte Gisin wohl leben. Mit der Tatsache, zu defensiv gefahren zu sein, allerdings nicht.
Viel mentale Arbeit steht an
Dabei durfte die 29-Jährige trotz eines mittelmässigen Super-Gs am Nachmittag noch auf Edelmetall hoffen. «Ich werde beim Slalom All-In gehen», sagte sie. Das schafft Gisin nicht, sie fährt zu passiv, rutscht die Tore an. «Es ist für mich sehr schwierig, mich zu überwinden», sagt sie im Bewusstsein, ihre wohl grösste Chance auf eine WM-Medaille in den savoyer Schnee gesetzt zu haben. «Ich hatte schon viele Tiefs in meiner Karriere, auch bei Olympia. Und danach habe ich es wieder hingekriegt. Dieser Tag braucht aber viel mentale Arbeit, bis ich ihn verarbeitet habe.»