Obwohl Loïc Meillard die letzte Slalom-Saison mit einem Sieg (Aspen) und einem vierten Platz (Saalbach) beendete, setzt vor dem Auftakt in den neuen «Zick-Zack»-Winter kaum ein Experte viel Geld auf eine Top-Platzierung des Wallisers. Verständlich, wenn man bedenkt, dass der 27-Jährige aufgrund von seiner in Sölden erlittenen Bandscheibenverletzung vor dem Slalom im finnischen Levi lediglich vier Ski-Trainings absolviert.
Trotzdem agiert der Edeltechniker aus Hérémence VS in diesem Wettkampf so, wie wenn in der Vorbereitung alles optimal verlaufen wäre. Im ersten Durchgang ist lediglich Frankreichs Olympiasieger Clément Noël zwei Hundertstel schneller als der Riesenslalom Vize-Weltmeister. Im Finale muss der ältere Bruder von Melanie Meillard (26, Rang 7 im Slalom vom Samstag) zwar neben dem glorreichen Triumphator Noël (acht Zehntel Vorsprung) auch Norwegens Henrik Kristoffersen den Vortritt lassen, Grund zum Feiern hat Meillard dennoch – mit dem dritten Schlussrang gelingt ihm zum 22. Mal der Sprung auf ein Weltcup-Podest (vier Siege, zehn zweite Ränge, acht dritte Plätze). «Obwohl es bezüglich meines zweiten Laufes Verbesserungspotenzial gibt, bin ich mit diesem Ergebnis sehr glücklich. Auch ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mit einem Podestplatz im Gepäck aus Levi abreisen kann», strahlt Meillard.
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Kummerbube Nef macht endlich wieder Freude
Bestens gelaunt ist nach diesem Rennen auch ein gebürtiger Genfer, der seit ein paar Jahren 61 Kilometer von Meillard entfernt in der Region von Verbier VS lebt – Tanguy Nef (27), welcher mit dem fünften Rang das beste Ergebnis in seiner Weltcup-Karriere feiert. Nef ist der Sprössling eines Universität-Professors und einer Psychiaterin. In den letzten Jahren hat es im Ski-Zirkus immer mehrere Leute gegeben, die der Meinung waren, dass sich Tanguy von seiner Mutter behandeln lassen sollte.
Grund: Nach seinem eindrücklichen Weltcup-Debüt 2018 in Levi (Rang 11) ist Nef regelmässig in aussichtsreicher Position über seine Nerven gestolpert. Den peinlichsten Moment erlebte der Romand, der in den USA das elitäre Dartmouth College besuchte, im Dezember 2021 in Val-d’Isère. Was ist passiert? Nachdem er im ersten Lauf mit der Nummer 18 auf den formidablen vierten Rang Rad gefahren war, fädelte Nef in Durchgang zwei beim ersten Tor ein! Drei Monate später ist er in Garmisch als Halbzeit-Leader ausgeschieden. Und nachdem sich Nef in den letzten beiden Wintern nie in den Top-15 klassieren konnte, hat er auch den Kopfsponsor verloren.
Der besondere Ratschlag von Bruder Laszlo
Dass Nef jetzt wieder beste Werbung in eigener Sache macht, ist auch auf seinen älteren Bruder Laszlo zurückzuführen. Als Mitglied des Schweizer Demo-Teams hat er Tanguy bereits vor zwei Jahren den Rat gegeben, den Skilehrerkurs zu machen. «Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, dass mich das weiterbringt. Irgendwann habe ich seinen Ratschlag dann aber doch befolgt. Und rückblickend betrachtet kann ich sagen, dass mir die Ausbildung zum Skilehrer tatsächlich sehr gutgetan hat.»
Warum? «Die Kommunikation mit den Trainern fällt mir jetzt viel einfacher. Vorher konnte ich die Coaches oft nicht so recht verstehen, wenn ihr Vokabular aus lauter technischen Begriffen bestand. Seit dem Kurs weiss ich ganz genau, was sie mir sagen wollen.» Trainer Matteo Joris sieht aber noch einen anderen Grund für die Wiederauferstehung des Westschweizers: «Tanguy hat endlich kapiert, dass er im Slalom nicht 130 Prozent riskieren muss. Bei seinem Potenzial reichen oft schon 95 Prozent, um richtig schnell zu sein.»
In Levi fehlen Nef 41 Hunderstel für den ersten Weltcup-Podestplatz seiner Karriere. Trainer Joris erkennt in diesem fünften Rang dennoch einen besonders hohen Wert: «Rossignol-Dynastar hatten für die Bedingungen in Levi das perfekte Material, deshalb sind unter den Top-8 fünf Athleten mit den französischen Ski zu finden. Nur Tanguy, sein Atomic-Kollege Lucas Braathen und Van-Deer-Mann Kristoffersen konnten da mithalten. Das ist richtig stark!» Und am kommenden Sonntag werden beim nächsten Weltcup-Slalom im österreichischen Gurgl Bedingungen erwartet, die Nef und seinen Atomic-Raketen noch mehr entgegenkommen müssten.