Ein urchiger «Juchzer» von Marco Odermatt (26) gehört mittlerweile bei Weltcuprennen schon fast zum Standard-Programm. Während der verkürzten Abfahrt in Gröden (I) liefert der amtierende Weltmeister gleich zwei Kostproben dieser natürlichsten Gesangsform.
Der Titelverteidiger im Gesamtweltcup freut sich als Dritter über seinen 53. Podestplatz im Weltcup. Einen besonders freudigen Schrei stösst Odermatt aber unmittelbar nach der Fahrt des Athleten mit der Startnummer 41 aus. Die Rede ist von seinem Vornamensvetter, Jahrgänger, «Stöckli»-Markenkollegen und Freund Marco Kohler, der nach einer brutalen Leidenszeit in seinem dritten Weltcup-Einsatz auf den achten Rang fährt! Die beiden lernen sich als Knirpse anlässlich eines Migros Grand Prix-Final kennen, später besuchen der Nidwaldner und der Berner Oberländer zusammen die Sportmittelschule in Engelberg. Auch die Urlaubszeit verbringen Marco und Marco oft gemeinsam.
Totalschaden im linken Knie
Kohler gilt lange als das grössere Talent als Odermatt. Als der damalige Swiss Ski-Nachwuchschef Osi Inglin 2015 im Blick ein Ranking über die grössten Zukunftshoffnungen veröffentlicht, platziert er Kohler auf Rang 1, während Odermatt nicht in den Top 6 fungiert. Doch dann beginnt der Meiringer Marco aus gesundheitlichen Gründen zu stagnieren, der Buochser Marco benötigte dagegen nur zwei Versuche, ehe er sich im Weltcup erstmals in den Top-20 klassiert.
Und dann kommt der 14. Januar 2020, der für beide zum Schicksalstag avanciert. Aber leider in die komplett entgegengesetzte Richtung. Odermatt absolviert an diesem Dienstag in Engelberg erfolgreich den ersten Ski-Tag nach seiner in Alta Badia erlittenen Meniskus-Verletzung und startet ab diesem Zeitpunkt so richtig durch, während Kohler als Vorfahrer im ersten Training am Lauberhorn im Ziel-S stürzt. Die niederschmetternde Diagnose: Am linken Knie ist nicht «nur» das Kreuzband, sondern auch die Patellasehne und das Innenband gerissen. Den ultimativen Tiefpunkt erlebt der Haslitaler aber erst rund fünf Monate nach der OP: «Zuerst habe ich ordentliche Fortschritte gemacht, doch dann kam der grosse Stop. Das Knie hat plötzlich überhaupt nicht mehr mitgemacht. Und mein Arzt hat mir gesagt, dass er sich nicht vorstellen könne, dass ich jemals wieder Leistungssport betreiben könne.»
Wiederaufbau mit den Schwingerkönigen
Um auf andere Gedanken zu kommen, arbeitet Kohler nach dieser miesen Prognose im Büro der väterlichen Auto-Garage. Die Hoffnung auf ein sportliches Happy End gibt er aber nie auf. Und schliesslich findet er die Lösung für sein Problem im Dunstkreis der Schwingerkönige Matthias Glarner und Kilian Wenger. «Kilä» und «Mättel» vertrauen im Kraft- und Konditionsbereich seit Jahren auf die Methoden von Roland Fuchs, gemeinsam haben sie in Wilderswil ein Trainingszentrum aufgebaut. Nun hat dieser besonders schlaue Fuchs auch Marco Kohler wieder auf die Beine geholfen.
«Roli hat schnell die perfekte Trainingsform für mein lädiertes Knie gefunden. Zudem hat es mir sehr gutgetan, dass ich das Konditions- und das Rumpftraining nicht mehr alleine, sondern mit einigen Schwingern absolvieren konnte. Das hat mich enorm inspiriert.»
Super-Freund Odermatt
Als gewinnbringend entpuppt sich in dieser Phase aber auch die Freundschaft mit Odermatt. «Obwohl Marco im Weltcup komplett durch die Decke gegangen ist, war er in jeder Lebenslage für mich da. Als er sich mit Roman Josi und Mark Streit in Interlaken für eine Runde Golf verabredet hat, hat er mich mitgenommen, weil er gewusst hat, dass er mir als begeisterter Eishockey-Fan mit dieser Begegnung eine riesige Freude macht. Und natürlich hat er mir bei meinem Comeback enorm geholfen, indem er mir jedes Detail über das neue Material verraten hat.»
Das alles hat dazu geführt, dass sich Kohler im letzten Winter mit dem Abfahrts-Gesamtsieg im Europacup einen Fix-Platz in diesem Weltcup-Winter erkämpfte. Und nun löst sein erster Top-10-Rang auf der höchsten Stufe eben auch bei den Odermatts die ganz grossen Gefühle aus. «Ich freue mich riesig über den dritten Rang von unserem Marco. Aber weil ich weiss, wie weit unten der Kohler Marco war, berührt mich sein achter Rang emotional noch mehr», gesteht Odermatts Vater Walti, der die verkürzte Gröden-Abfahrt gemeinsam mit Kohlers Vater Melchior auf der Fan-Tribüne verfolgt hat.