Auf der Abfahrtspiste ist Niels Hintermann furchtlos, sein Übername «Cinghiale» (Wildsau) unterstreicht das. Doch der Zürcher hat auch eine ganz andere Seite, eine kindlich verspielte. Überschwänglich hat er sich gefreut, als er von seiner Freundin zum Geburtstag ein Lego-Ferrari F40 Baukasten geschenkt bekam. «Ich baue leidenschaftlich gerne Lego-Autos zusammen», sagt Hintermann. «Und mit dem Baukasten für den F40 hat mir Lara ein wunderbares Geschenk gemacht. Offiziell ist der nämlich schon längst vergriffen. Aber über irgendeinen Internet-Kanal ist es ihr gelungen, einen solchen Baukasten zu kaufen. Absolut mega!»
Vor der Anreise zur WM hat «Cinghi» einen Zwischenstopp in Altendorf SZ im Ferrari und Maserati-Tempel der Gebrüder Reto und Frank Foitek eingelegt. Beim Probesitzen im Maserati MC 20 leuchten die Augen des 27-Jährigen. «Ich fühle mich gerade, wie wenn ich in einem Space Shuttle sitzen würde. Dieses Auto beschleunigt in 2,9 Sekunden von 0 auf 100. Für mich ist das ein absoluter Traum!»
«Ich bin noch lange nicht Millionär!»
Ein Traum, den er sich bald leisten will? Hintermann, der vor drei Wochen in Kitzbühel auf der berüchtigsten Abfahrt der Welt auf den dritten Rang raste, schüttelt den Kopf: «Um einen Ferrari oder Maserati kaufen zu können, müsste ich sportlich noch sehr viel mehr leisten. Ich bin noch längst nicht Millionär. Für meinen Podestplatz auf der Streif habe ich 25'000 Franken erhalten.»
Mit dem Weltmeistertitel in der Abfahrt würde Hintermann seinem Traum vom edlen Sportflitzer aber ein ordentliches Stück näher kommen. Schliesslich ist eine WM-Goldmedaille in der alpinen Königsdisziplin ein Garant für gut dotierte Sponsoring-Verträge. Und Hintermann hat vor allem mit der viertbesten Zeit im ersten Training angedeutet, dass er auf dieser Piste den grossen Coup landen könnte. «Die Strecke gefällt mir extrem. Zudem funktioniert mein Material auf dieser Piste perfekt.»
Hintermanns aussergewöhnliche Fähigkeit
Für Hintermann spricht auch die Tatsache, dass der grösste Teil der Piste im Schatten liegt. 80 Prozent seiner sechs Weltcup-Podestplätze hat der kompromisslose Draufgänger bei stark eingeschränkter Sicht eingefahren. «Niels war diesbezüglich schon als Jugendlicher ein Phänomen», erinnert sich Oliver Koch, der Hintermann an der Sportmittelschule in Engelberg trainierte. «Niels hatte schon immer ein besonders ausgeprägtes Selbstvertrauen und einen aussergewöhnlichen Instinkt. Deshalb war er selbst im dichten Nebel schnell.»
Auf der Autobahn fällt der Triumphator der Kvitfjell-Abfahrt 2022 aber trotz seiner Liebe zu schnellen Autos nicht als Raser auf. «Die letzte Busse habe ich vor 14 Monaten erhalten. Ich musste 20 Franken bezahlen, weil ich 1 km/h zu schnell war.»
Seine Freundin hat «Ja» gesagt
Hintermanns ordentliche Autofahrweise ist auch auf die traurige Geschichte eines engen Freundes der Familie zurückzuführen, der im letzten Frühling mit seinem Sportflitzer tödlich verunglückt ist. «Das hat meine Einstellung zum Autofahren noch einmal verändert. Wenn ich eines Tages einen Sportwagen kaufen würde, würde ich einmal im Jahr ein Fahrtraining absolvieren. Schliesslich hängt vom richtigen Umgang des Gaspedals nicht nur mein Leben, sondern auch das von meinem Mitfahrer und von anderen Verkehrsteilnehmern ab.»
Kompromisslos Vollgas gibt Hintermann dafür im Liebesleben. Am 23. Dezember hat er sich mit Freundin Lara Scholl verlobt. Gut möglich, dass es auch als Hochzeitsgeschenk ein Lego-Auto geben wird.