Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Schwingen ohne Peter Bichsel

Mit Peter Bichsel verliert der Sport einen glühenden Anhänger. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 30.03.2025 um 20:33 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2025 um 09:48 Uhr
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Schriftsteller Peter Bichsel war ein grosser Sport-Fan.
Foto: keystone-sda.ch

Peter Bichsel, der grösste Erzähler der Schweizer Literaturgeschichte, ist vor zwei Wochen gestorben. Seine Geschichten werden fehlen. «Erzählen hat etwas Tröstliches und ist notwendig, um zu überleben. Deshalb erzählt man auch kleinen Kindern Geschichten», hat er einst gesagt.

Mit Bichsel verliert aber auch der Sport einen seiner grössten Fürsprecher. Um ein Aufstiegsspiel seines FC Solothurn in die Nationalliga A nicht zu verpassen, hat Bichsel 2008 die Lesung seines Freundes Günter Grass an den Solothurner Literaturtagen verpasst.

Und Bichsel, der überzeugte Sozialdemokrat und einstige Freund und Redenschreiber von Bundesrat Willi Ritschard, war auch ein grosser Fan des Schwingens. Das erscheint heute, wo eher die SVP in den Sägemehlarenen eine politische Heimat gefunden hat, eher exotisch.

Aber es gab Zeiten, in denen die SP die Partei der Büezer und Arbeiter war. Und Zeiten, in denen der Sozialdemokrat Ernst Schläpfer lange Jahre die dominierende Figur im Schweizer Schwingsport war.

Bichsel gehört bei Kaffee Lutz und mit Stumpen zu den Stammgästen am Weissenstein-Schwinget auf seinem Solothurner Heimberg. Und als er gebeten wird, etwas für das Programmheft zu schreiben, liefert er den vielleicht besten Text, den es zum Schwingen gibt. Und der nichts an Aktualität eingebüsst hat.

Der Mann, der als kluge Verkörperung des Schweizertums gilt, adelt damals den Nationalsport. «Schwingen ist ein Fest, ein Familienfest – und wer gerade da ist, gehört mit zur Familie und mit zum Fest – wer hier ist, gehört dazu – wie bei einem grossen Familienfest in einem südlichen Land. Und weil ich es mochte, dazuzugehören, ging ich immer wieder. Schwingen ist ein Ritual, ist ritualisierter Friede. Auch hier fällt der Friede nicht immer leicht – selbst Ungerechtigkeit gehört zum Ritual und kleine Streitigkeiten gehören zur Familie – der Friede fällt nicht immer leicht, aber er ist selbstverständlich.

Ein Handschlag mit diesen grossen Händen ist ein Wert, ein bleibender Wert. Wir leben in Zeiten der Angst. Die Angstmacher feiern ihre Triumphe in der Politik und im Leben und scharen die schimpfenden Ängstlichen um sich. Die Angstfreiheit der Schwinger mag eine Illusion sein. Aber irgendwie erinnert sie mich doch an eine Gesellschaft, die sich nicht mit der Angst solidarisiert, sondern gegen die Angst. Die alte Tradition des Schwingens erinnert mich an eine Zeit, als die Leute noch zusammenlebten, und an eine Gesellschaft, wo der Erste und der Letzte nur ein paar Pünktchen auseinanderlagen, erinnert mich an eine Gesellschaft, die es vielleicht nie gab – eine Sehnsucht.»

Später hat Bichsel seine Faszination für den Sport auch so erklärt: «Ich war ein schlechter Sportler. Aber diese Gesichter im Sport, das Gesicht des Siegers und das Gesicht des Verlierers, haben mich immer fasziniert.»

Zum Glück war Bichsel ein schlechter Sportler. Ansonsten würden solch wunderbare Sätze über den Sport fehlen. «Ich habe geschrieben, weil ich kein grosser Fussballer war», hat Bichsel einst zu seinen Bubenträumen geschrieben.

Und er hat einige Jahre vor dem Tod seine Erwartungen an das restliche Leben so formuliert: «Ich hoffe auf langweilige Zeiten, keinesfalls auf kurzweilige. Ich möchte, dass die kurze Zeit, die mir noch bleibt, möglichst lange wirkt.»

Die Zeit ist abgelaufen. Und der Schweizer Sport verliert einen glühenden Anhänger.

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