Tradition oder alter Zopf
«Ehrendamen sind reine Dekorationsobjekte»

In der Formel 1 wurden sie abgeschafft, ebenso bei der Tour de France. Die Damen, welche dem Sieger Küsschen auf die Wangen drücken, sind ein Relikt vergangener Tage. Nicht aber im Schwingen. Dort ist das Amt heiss begehrt. Doch sind Ehrendamen noch zeitgemäss?
Publiziert: 25.06.2023 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2023 um 09:38 Uhr
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Morgens um 05.30 Uhr beginnt die Coiffeuse mit den aufwändigen Flechtfrisuren.
Foto: Nina Köpfer
Nina Köpfer

Sonntagmorgen, 06.00 Uhr, im 1000-Seelen-Dorf Oberschrot im Kanton Freiburg. In einem Einfamilienhaus kurz vor Plaffeien herrscht zu früher Stunde bereits emsiges Treiben. Auf dem Küchentisch liegen Frisierutensilien, Fixierspray, Toupierbürste, Haarnadeln. Vier junge Frauen setzen sich eine nach der anderen an den Küchentisch und erhalten die so typisch geflochtene Hochsteckfrisur, die genauso zu den Ehrendamen gehört wie die Tracht, in diesem Fall die Sensler Werktagstracht.

Es ist das erste Mal, dass Olivia Maire (20), Laura Fasel (19), Martina Feyer (21) und Flavia Schuwey (18) in die Rolle der Ehrendame schlüpfen. Sie alle stammen aus dem Sensebezirk im Kanton Freiburg, und alle fühlen sich mit dem Schwingsport verbunden. Die meisten von ihnen waren bislang als Helferinnen am Schwarzsee-Schwinget dabei. «Es ist mega schön und eine sehr grosse Ehre, in diesem Jahr Ehrendame zu sein», schwärmt die angehende Landwirtin Olivia Maire, welche als Verantwortliche die drei weiteren Ehrendamen ausgewählt hat.

Begehrte Foto-Objekte

Sobald die Frauen das Festgelände am Schwarzsee um 08.00 Uhr betreten, folgen ihnen interessierte Blicke. Das Grüppchen in der blau-weiss-roten Tracht fällt auf. Ihnen werden Komplimente gemacht, hauptsächlich zu ihrem Aussehen. «Ganz hübsche Modis», seien sie. Vor allem das ältere Publikum freut sich, dass den jungen Frauen die Tradition am Herzen liegt. Die Aufgaben der Ehrendamen sind schnell zusammengefasst. Essensbons verkaufen – und hübsch ausschauen. Stets freundlich und mit einem Lächeln auf den Lippen.

«Wir geniessen es, uns mal ein bisschen rauszuputzen, und die Komplimente sind sehr schön», sagt Olivia Maire nach der Mittagspause. Doch zwischen den anerkennenden Worten kriegen die Frauen auch immer wieder derbe Kommentare zu hören. «Sind das jetzt die Lebendpreise?», scherzen zwei Männer. Beim Verkauf der Essensbons werden sie mehr als einmal gefragt, ob die Ehrendame für die 20 Franken denn inklusive sei.

Lächeln und ignorieren

Überhören können die vier diese Kommentare nicht. Sie lächeln stattdessen und versuchen, sich möglichst elegant aus den doch eher unangenehm scheinenden Situationen herauszuwinden. Ob solche Sprüche nerven? «Nein», sind sich die vier einig, «Wir haben damit gerechnet, dass solche Sprüche kommen. Es ist ja nicht böse gemeint.»

Nicht böse gemeint, aber doch unglaublich sexistisch. Auch ein Schwingfestbesucher sieht das so, bezeichnet die dekorativen Rollen der Ehrendamen gar als frauenfeindlich, und stellt sich dann in die Mitte der Frauen, um ein Foto mit ihnen zu schiessen.

Die Frage ist berechtigt, ob Frauen auch im Jahr 2023 noch als reines Dekorationsobjekt eingesetzt werden sollen. Denn genau das sind die Ehrendamen in den Augen von Franziska Ruch, Präsidentin der Eidgenössischen Frauenschwingverbands. «Diese Frauen werden hoch geschätzt, das darf man nicht falsch verstehen», sagt die Schwingerin. Zumindest für das, was sie machen: lächeln, hübsch aussehen, nicht allzu viel sagen.

Gleichberechtigung beginnt nicht bei den Ehrendamen

«Wenn es darum geht, Frauen an Schwingfesten mehr zu involvieren, ihnen Verantwortung im sportlichen Bereich zu übergeben, tut sich der Eidgenössische Schwingerverband schwer.» Die Strukturen im Verband seien festgefahren, die Rollenbilder altmodisch. Doch es gibt Ausnahmen. Beim Schwägalp-Schwinget und beim Waadtländer Kantonalen werden die OK von Frauen präsidiert. Das trage sicher mehr zur Gleichberechtigung im Sport bei, als die Ehrendamen zu streichen. «Die Ehrendamen sind ein elementarer Teil jedes Schwingfests. Die kann man nicht abschaffen», ist Franziska Ruch überzeugt. «Schliesslich machen es die Frauen ja freiwillig, das ist eine riesige Ehre für sie.»

Und wie sieht das mit den Ehrenherren aus? «Ums Amt reissen tut sich da keiner», erzählt Ruch lachend. Aber Ehrenherren gibt es an Frauenschwingfesten durchaus auch. Es könne allerdings gut sein, dass dieser «drei Minuten vor der Siegerehrung noch an der Fritteuse im Festzelt gestanden ist». Immerhin sei es mittlerweile Standard, dass die Herren zumindest für die Kranzübergabe den Mutz anziehen, den traditionellen Festanzug. Es tut sich also etwas in Sachen Gleichberechtigung. Das sei auch einem Generationenwechsel zu verdanken.

Einer, der Teil dieser neuen Generation ist, ist Noe van Messel (21). Der Innerschweizer studiert Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen, und entspricht so gar nicht dem typischen Klischee-Schwinger. Doch auch er findet: Die Ehrendamen gehören zum Schweizer Traditionssport dazu. «Wenn wir bei der Kranzübergabe vor die Ehrendamen hinknien, ist das ein Zeichen grossen Respekts den Frauen gegenüber.» Vergleiche mit den Grid-Girls in der Formel 1 beispielsweise findet er unpassend. «Dort werden die Frauen zur Schau gestellt. Beim Schwingen hingegen repräsentieren sie die Werte des Sports.»

Drei Küsschen für den Sieger

Zurück zum Schwarzsee-Schwinget. Seit Stunden knallt die Sonne auf den Festplatz. Den Strohhut, der zur Sensler Werktagstracht gehört, tragen die Frauen nur zur Dekoration am Rücken. Aufsetzen verboten. Das ständige Lächeln wird langsam anstrengend, und die Hitze ist nicht zu unterschätzen. Doch der wichtigste Moment des Tages steht noch an. Die Siegerehrung.

Nervös sind die jungen Frauen nicht. Vor dem Schwingfest haben sie sich Videos angeschaut, um zu sehen, wie die Zeremonie abläuft. Alles klappt wie am Schnürchen. Olivia Maire, welche die Ehrendamen anführt, setzt dem knienden Fabian Staudenmann den Siegerkranz auf und drückt ihm drei Küsschen auf die Wangen. Sie strahlt. «Es ist ein mega spezielles Gefühl, wenn ein so starker Schwinger vor dir in die Knie geht», erzählt sie danach. Wird sie das Amt der dekorativen Ehrendame nochmals ausüben? «Auf jeden Fall.»

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