Wie verändert sich die Hierarchie im Kanton Bern nach dem Rücktritt von Christian Stucki?
Schwingerkönig Stucki, der nach dem Seeländischen im Juni in seiner engeren Heimat seine Hosen wohl an den Nagel hängt, hinterlässt in Bern eine grosse Lücke. Er wird als Schwinger, aber auch als Integrationsfigur und Sympathieträger schmerzlich fehlen. Natürlich haben die Berner nach wie vor eine ganz starke Mannschaft. Matthias Aeschbacher ist bereits in Pratteln endgültig aus dem Schatten seiner prominenten Mitstreiter getreten. Und Fabian Staudenmann hat nach seinem zweiten Platz beim Eidgenössischen und den souveränen Auftritten bei den ersten Frühlingsfesten in diesem Jahr bewiesen, dass er der neue Leader der Berner ist. Mit Adrian Walther, Michael Wiget, Michael Ledermann oder Severin Schwander stehen weitere Hochkaräter dieser Generation an seiner Seite. Auch Remo Käser wird nach der Enttäuschung in Pratteln nochmals angreifen. Und die Berner haben auch einige Routiniers, die liefern. Bernhard Kämpf ist einer von ihnen. Neben dem angekündigten Rücktritt von Stucki werden in dieser Saison mit Michael Bless, Raphael Zwyssig und Andi Imhof drei weitere Schwergewichte nicht mehr mit dabei sein.
Ist auch Kilian Wenger auf Abschiedstour?
Kilian Wenger, der mit dem Gewinn des Königstitels 2010 den Aufschwung des Schwingens massiv gefördert hat, lässt für die Zukunft alles offen. Sein Rückenproblem hat er im Griff. Trotzdem wird er das eine oder andere Fest auslassen. «Qualität vor Quantität ist mein Motto», sagt Wenger. Er nimmt die neue Saison topmotiviert in Angriff und wird dann erst nach dem Unspunnen-Schwinget entscheiden, wie es weitergeht. «Wenn ich gesund bleibe und eine gute Saison habe, kann ich mir auch vorstellen, 2024 nochmals mit dabei zu sein.»
Gewinnt Schwingerkönig Joel Wicki auch das Unspunnen-Fest?
Der grosse Höhepunkt der Saison ist der alle sechs Jahre stattfindende Unspunnen-Schwinget in Interlaken. Dass ein amtierender Schwingerkönig auch Unspunnen gewinnt, ist zuletzt 1999 Jörg Abderhalden gelungen. Schafft Joel Wicki in diesem Jahr dieses Kunststück? Es ist die sportlich brisanteste Frage des Jahres. Mit der Rückkehr von Michael Gwerder haben die Innerschweizer jedenfalls einen zusätzlichen Trumpf. Abgesehen vom Königstitel war das Abschneiden des Innerschweizer Teams in Pratteln ja eher eine Ernüchterung.
Wer wird der Saison den Stempel aufdrücken?
Neben Joel Wicki und den Berner Teamleadern wird dies vor allem Pirmin Reichmuth sein. Der Mann, der in Pratteln lange auf Königskurs war, hat bei seinen ersten Auftritten in diesem Frühling einen bestechenden Eindruck hinterlassen. Samuel Giger bleibt ein Gigant des Sägemehls. Der Druck, den Königstitel holen zu müssen, ist weg. Für Unspunnen ist Giger wieder ein heisser Kandidat. Und er hat in der Ostschweiz mit Armon Orlik, Domenic Schneider, Damian Ott, Werner Schlegel oder Samir Leuppi ein starkes Team im Rücken.
Kommen die Stadtzürcher zum Schwingen?
Das Zürcher Kantonalschwingfest findet am 14. Mai mitten in der Stadt Zürich auf der Sportanlage Allmend Brunau statt. Lassen sich die Stadtzürcher vom Schwingvirus anstecken? Strömen sie auf die Allmend? Oder reicht ihnen zur Pflege des Brauchtums das Sechseläuten? Die Suche nach Siegermunis gestaltete sich jedenfalls in Zürich nicht so einfach. Der Spender des Stiers kommt aus dem Kanton Aargau.
Wer könnte der Aufsteiger der Saison werden?
Der 17-jährige Emmentaler Michael Moser hat beim Eidgenössischen den Kranzgewinn knapp verpasst. Dem 1,93 Meter grossen Sennenschwinger wird eine grosse Zukunft vorausgesagt. Mit Adrian Odermatt hat sich in Pratteln ein neuer Name in den Fokus geschwungen. Der Nordwestschweizer hat das Zeug dazu, in seinem Verband neben Nick Alpiger und Joel Strebel zum Teamleader zu werden.
Was ändert sich sonst noch im Sägemehlring?
Regeltechnisch gibt es in der neuen Saison eine markante Änderung: Um das langwierige Greifen vor dem Gang abzukürzen, sind die Schwinger angewiesen, innert rund 45 Sekunden Griff an den Hosen des Gegners zu haben. Ansonsten kann der Kampfrichter Verwarnungen bis hin zu einem Punkteabzug anordnen. «Das minutenlange Greif-Geplänkel vor einem Gang möchten wir nicht mehr sehen», sagt Stefan Strebel, der Technische Leiter des Schwingverbands.
Wo kann man die Schwingfeste mitverfolgen?
An Tickets für grosse Schwingfeste zu kommen, kann ganz schön schwierig sein. Wenn's mal nicht klappen sollte, gibt es für hartgesottene Schwingfans mehrere Möglichkeiten, doch dabei zu sein. Blick tickert bei allen wichtigen Festen von früh bis spät. SRF überträgt wie gewohnt alle Teilverbands- und Bergkranzfeste online, und auch den Abschied von König Stucki am Seeländischen gibts live im Free TV. Auf schwingen-live.ch kann man Streams von kantonalen und regionalen Festen wie das Emmentalische Schwingfest für 10 Franken pro Tag mitverfolgen.
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Bleibt das Schwingen so populär?
Der Boom beim Schweizer Nationalsport ist ungebrochen. Das Interesse ist weiter enorm. Allerdings hat der Millionenverlust des Eidgenössischen in Pratteln doch aufgeschreckt. Die Kosten für die Infrastruktur beim grössten Sportanlass des Landes sind horrend. Darum wird das Eidgenössische 2025 im Glarnerland budgetmässig etwas abgespeckt. Auch wenn die Nachfrage nach Tickets riesig bleiben wird.
Schwingt Stefan Burkhalter bis ins AHV-Alter?
Dinosaurier Stefan Burkhalter wird am 1. Juni 49 Jahre alt. Und steigt in seine nächste Saison. Schwingt er bis ins AHV-Alter? «Nein», sagt «Burki» und lacht. Ende Saison ist definitiv Schluss. Aber in diesem Jahr soll noch der eine oder andere Kranz zu den 111 bisherigen Auszeichnungen dazukommen. Dass er nochmals in die Hosen steigt, hat in erster Linie mit seinem Sohn Thomas zu tun, der den Wunsch geäussert hat, nochmals mit dem Vater auf «Schwingtour» zu gehen. Und es zeichnet sich ab, dass der Sohn bei der einen oder anderen Rangliste vor seinem Vater auftauchen könnte. Burkhalter senior wird in diesem Jahr auch beim Seeländischen Schwingfest als Gast mit dabei sein. Dort dürfte dann Christian Stucki verabschiedet werden.