Steve Guerdat betont es immer mal wieder: Er hält nicht gerne Rückschau. «Dafür habe ich irgendwann nach meiner Karriere noch genug Zeit.» Doch der Springreiter steht vor seinen 6. Olympischen Sommerspielen in Folge – klar möchte man vom amtierenden Europameister wissen, wie es damals für ihn gewesen ist, bei seiner Premiere 2004 in Athen. Und wie es heuer, 20 Jahre später, für ihn in Paris werden könnte. Damals ist er 22 Jahre jung, heute 42. Dazwischen liegen Team-Bronze 2008 in Hongkong, ein Olympia-Triumph mit Einzel-Gold 2012 in London und viele lehrreiche Erfahrungen.
Trotzdem sagt Guerdat: «Ich bin der gleiche Mensch geblieben. Auch meine Liebe zu den Pferden und dem Reitsport ist noch genauso gross.» Doch im Leben des Spitzenreiters hat sich so einiges verändert. «Ich bin Familienvater geworden, Unternehmer mit einem eigenen Hof und 15 Angestellten, ich trage viel mehr Verantwortung.» Es fühle sich aber überhaupt nicht so an, als seien 20 Jahre vergangen.
Erst wenn er jetzt überlege, an wie vielen Turnieren er seither gewesen sei und wie viele verschiedene Pferde er geritten habe, dann werde es ihm bewusst. Das lässt ihn sein Körper langsam auch spüren. «Ich merke, dass ich etwas weniger machen sollte, weil mir abends alles wehtut. Aber wenn ich am nächsten Morgen aufstehe, geht es wieder gleich weiter, weil ich so Freude daran habe.» Weil es seine Passion ist.
So beschreibt Guerdat den Olympia-Geist
Sein erstes Olympia-Abenteuer 2004 legt Guerdat in seiner Erinnerung jedoch als grosse Enttäuschung ab, weil er praktisch nichts von der Atmosphäre mitbekommen hat. Er ist zu jener Zeit Angestellter im Stall von Jan Tops (63), einem niederländischen Reiter sowie einflussreichen Pferdehändler, und kann in seiner Planung darum noch nicht alles selbst entscheiden. Erst im letzten Moment vor dem ersten Wettkampf reist er an. Das Team landet in Athen auf dem 5. Platz. Guerdat hätte sich zudem für den Einzel-Final qualifiziert, doch im damaligen Modus dürfen da nur drei der vier Reiter starten.
Der Entscheid fällt gegen ihn aus. Und sein Chef beschliesst, ihn sogleich ans nächste Turnier zu schicken. «Ich durfte nicht mal die Final-Ritte meiner Teamkollegen sehen. Ich war bereits in Kiew», erzählt er. «Da sagte ich zu mir: Falls es für mich ein nächstes Mal gibt, möchte ich das Olympia-Fieber so richtig geniessen. Und das habe ich getan.»
Der Olympia-Geist. Guerdat, der unbedingt im olympischen Dorf wohnen will, obwohl die Reitsport-Wettkämpfe ausserhalb beim Schloss Versailles stattfinden, beschreibt ihn so: «Die Olympischen Spiele sind für mich etwas vom wenigen auf dieser Welt, wo alle gleichbehandelt werden. Ob man der Star seines Sports ist oder die Weltnummer 600, für ein paar Tage sind Status oder Geld egal. Oder aus welchem Land man kommt, ob aus der privilegierten Schweiz oder einem kriegsgebeutelten Land. Diese Gerechtigkeit geniesse ich.»
Gold-Triumph 2012 und riesige Enttäuschung 2016
Nach den speziellsten Olympia-Momenten gefragt, nennt Guerdat zwei Spiele, deren damalige Gefühle gegensätzlicher nicht sein könnten: London 2012 und Rio 2016. Das Olympia-Gold 2012 feiert er im Sattel des Wallachs Nino des Buissonnets. Er denke zwar nicht mehr täglich daran, sagt der mehrfache EM-Medaillengewinner, aber die Bedeutung des Edelmetalls bleibt gross. «Nach London kannten viel mehr Menschen meinen Namen.» Das hebt den Jurassier, der in Elgg ZH lebt, auf ein anderes Level bezüglich Sponsoren und Pferdebesitzer. Und er sagt ehrlich: «Ohne diesen Olympia-Sieg hätte ich mir meinen Hof nicht kaufen können.»
Dann die brutale Ernüchterung in Rio. «Auch da hegte ich Gold-Hoffnungen.» Er als Springreiter ist um vier Jahre Erfahrung reicher, Nino des Buissonnets ebenso. Die Schweizer gehören zu den besten Teams, werden Sechste. Im Einzelfinal liegt für Guerdat eine Medaille bereit. Er verpasst sie wegen eines Abwurfs und 99 Hundertstel. «Die Enttäuschung war riesig.» Er wäre der erste Olympiasieger im Springreiten gewesen, der seinen Titel verteidigt.
Im Olympia-Turnier sind 20 Nationen à drei Springreiter am Start. Hinzu kommen 15 Einzelreiter aus 15 Nationen, die keinem Team angehören. Die Schweizer Equipe besteht aus Steve Guerdat (42), Martin Fuchs (32), Pius Schwizer (61) und Ersatzreiter Edouard Schmitz (24). Nach dem enttäuschenden Ergebnis im Teamspringen von Guerdat, Fuchs und Schwizer nominierte Equipenchef Peter van der Waaij für den Einzel-Wettbewerb Schmitz für Schwizer.
Team: Es gibt im neuen Modus (seit Tokio 2021) kein Streichresultat. Die Quali-Prüfung findet nach Wertung A mit Zeitmessung mit maximal 17 Sprüngen über maximal 165 Zentimeter statt. Die besten 10 der 20 Teams schaffen es in den Team-Final. Dort beginnt am nächsten Tag die Wertung wieder bei null, gestartet wird in umgekehrter Reihenfolge.
Einzel: Der Equipenchef hätte die Möglichkeit, für die Quali-Prüfung einen Reiter auszutauschen. Sie findet in der Wertung A ohne Stechen mit maximal 17 Sprüngen über maximal 165 Zentimeter statt. Die besten 30 Starter erreichen den Einzel-Final. Dort beginnt am nächsten Tag die Wertung auch wieder bei null. Ein allfälliges Stechen entscheidet über die Medaillenränge.
Im Olympia-Turnier sind 20 Nationen à drei Springreiter am Start. Hinzu kommen 15 Einzelreiter aus 15 Nationen, die keinem Team angehören. Die Schweizer Equipe besteht aus Steve Guerdat (42), Martin Fuchs (32), Pius Schwizer (61) und Ersatzreiter Edouard Schmitz (24). Nach dem enttäuschenden Ergebnis im Teamspringen von Guerdat, Fuchs und Schwizer nominierte Equipenchef Peter van der Waaij für den Einzel-Wettbewerb Schmitz für Schwizer.
Team: Es gibt im neuen Modus (seit Tokio 2021) kein Streichresultat. Die Quali-Prüfung findet nach Wertung A mit Zeitmessung mit maximal 17 Sprüngen über maximal 165 Zentimeter statt. Die besten 10 der 20 Teams schaffen es in den Team-Final. Dort beginnt am nächsten Tag die Wertung wieder bei null, gestartet wird in umgekehrter Reihenfolge.
Einzel: Der Equipenchef hätte die Möglichkeit, für die Quali-Prüfung einen Reiter auszutauschen. Sie findet in der Wertung A ohne Stechen mit maximal 17 Sprüngen über maximal 165 Zentimeter statt. Die besten 30 Starter erreichen den Einzel-Final. Dort beginnt am nächsten Tag die Wertung auch wieder bei null. Ein allfälliges Stechen entscheidet über die Medaillenränge.
Guerdats Gold-Wunsch
In Tokio 2021 – er nennt sie die «traurigen Spiele», weil sie in der Corona-Pandemie ohne Zuschauer stattfinden – gehört die Schweizer Equipe nicht zu den Favoriten, ein Medaillen-Wunsch wäre vermessen gewesen. Das hat den ehrgeizigen Guerdat frustriert. Ganz anders sieht es nun drei Jahre später aus. Die Ausgangslage für Paris 2024 ist so gut wie noch nie. «Es ist mit Abstand das stärkste Team, in dem ich war. Wir müssen uns nicht verstecken.» Nebst Guerdat, der die Stute Dynamix de Bélhème sattelt, reiten Martin Fuchs (32, Leone Jei) und Pius Schwizer (61, Vancouver de Lanlore) – sie alle sind ehemalige Weltnummern 1. Das Timing sei ausserordentlich, dass die Schweiz als so kleines Land für Olympia ein Team mit Reitern und Pferden in Topform stellen könne. «Das erlebt man nicht mehrmals in der Karriere. Und es gibt auch keine Garantie, dass es in vier Jahren wieder so ist.»
Entsprechend klar fällt die Zielsetzung des Spitzenreiters aus: «Ich wünsche mir Team- und Einzel-Gold. Ich möchte eine Medaille in die Schweiz bringen, alles andere wäre eine Enttäuschung. Wenn nicht jetzt, wann dann?»