Der 5. August 2019 ist ein schwarzer Tag im Profi-Radsport. Auf der dritten Etappe der Polen-Rundfahrt fährt das belgische Talent Bjorg Lambrecht in einen auf der Strasse montierten Lichtreflektor. Er verliert das Gleichgewicht, stürzt und prallt gegen einen Betonblock. Der 22-Jährige erleidet eine schwere Leberverletzung, die zu inneren Blutungen führt und in der Folge zum Herzstillstand. Lambrecht hat keine Chance, er stirbt im Spital.
«Es war das erste Mal, dass ein Radsportler, den ich gekannt habe, gestorben ist», erinnert sich Marc Hirschi. Heute ebenfalls 22-jährig, gibt der Berner zu, dass ihn Lambrechts Tod hart mitgenommen hat. «Ich war damals nicht in Polen. Dennoch kamen bei mir grundsätzliche Gedanken hoch. Es könnte auch mich jederzeit treffen.»
Tatsächlich kam Lambrechts Unfall aus dem Nichts. Er fuhr im Feld, auf einer normalen Landstrasse. Die Tragödie war eine Verkettung von unglücklichen Ereignissen. «Es ist brutal, alles kann so schnell gehen», so Hirschi. Letztlich würde das vieles relativieren – auch, dass er in dieser Saison noch ohne Sieg ist und Olympia eine Enttäuschung war. «Es gibt Wichtigeres im Leben, als Rennen zu gewinnen.» Wir erinnern uns: Als Hirschi 2018 in Innsbruck U23-Weltmeister wurde, stand Lambrecht neben ihm als Zweiter auf dem Podest.
«Da wird ganz vieles banal»
Nun ist es nicht so, dass Hirschi sein bisheriges Radjahr frustriert hätte. Gewiss, er konnte die Erfolge der Vorsaison (Sieg bei der Tour de France, Sieg bei Flèche Wallonne, WM-Dritter) nicht wiederholen. Dazu hatte er Probleme mit Material und Körper, stürzte bei der Tour schwer. Gleichzeitig fühlt sich das Schweizer Top-Talent in seinem neuen UAE Team Emirates pudelwohl – und er verhalf seinem Mannschaftskollegen Tadej Pogacar zum Tour-Gesamtsieg.
Aber eben: All das, egal ob negativ oder positiv, verblasst angesichts des Unfalls von Lambrecht. «Da wird plötzlich ganz vieles, das man als super oder schlimm empfindet, banal», so Hirschi.
Bleibt die Frage: Fährt er seit dem Tod seines Radkollegen vorsichtiger? «Mit zunehmendem Alter hat man es mehr im Hinterkopf. Wenn es nicht zwingend nötig ist, gehe ich jedenfalls keine übertriebenen Risiken ein.»