Annemiek van Vleuten jubelt ausgelassen, als sie nach 137 km die Ziellinie des olympischen Strassenrennens auf dem Fuji International Speedway erreicht. Mehr, als es für einen zweiten Platz, der für eine Favoritin «nur» Silber bedeutet, üblich ist. Alle Beobachter der Szene wundern sich. Die Holländerin wundert sich ihrerseits, dass sich ihre Betreuer im Ziel nur verhalten mit ihr freuen.
Erst als sie Kollegin Anna Kiesenhofer erschöpft im Zielraum am Boden liegen sieht, fällt bei Van Vleuten der Groschen. Die Österreicherin war nach knapp vier Stunden Fahrzeit mit 1:15 Minuten Vorsprung vor ihr angekommen. Ernüchterung. «Ich dachte, ich hätte Gold», erklärt die 38-jährige Routinier deutlich weniger euphorisch, «ich lag falsch.»
Ohne Funk keine verlässlichen Infos
Wie konnte das passieren? Im Gegensatz zu Wettkämpfen auf der World Tour haben die Fahrerinnen und Fahrer bei Olympia keinen Knopf im Ohr haben. Ohne Funk müssen sie sich auf spärliche Infos der Begleittöffs und -fahrzeuge verlassen. Da ist bei Holland in der Kommunikation wohl gehörig was daneben gegangen: Als Van Vleuten die vorderste Fluchtgruppe überholt, denkt sie, sie lasse alle hinter sich. Dass sich Aussenseiterin Kiesenhofer – die 30-jährige ETH-Lausanne-Mathematikerin, die keinem Profiteam angehört – von ihren Mitflüchtlingen 40 km vor dem Ziel abgesetzt hatte, hat die Niederländerin nicht einkalkuliert.
Für ihren verfrühten Jubel, der ihre letzte Erinnerung an Olympische Spiele bleiben wird, erntet Van Vleuten nun Spott und Hohn – allen voran von den Österreichern, die ihre erste Goldmedaille seit 2004 feiern. Aber angesichts ihrer Geschichte an Sommerspielen, wird sie darüber hinwegkommen.
Auferstehung nach Horrorsturz
Statt «Ich dachte, ich hätte Gold» stand bei Annemiek nämlich vor fünf Jahren in Rio «Ich dachte, sie wäre tot» im Raum. Nachdem sie damals das beste Rennen ihrer Karriere gefahren war, stürzte sie fatal über einen Randstein, blieb regungslos liegen und kämpfte danach 24 Stunden auf der Intensivstation ums Überleben. Die Folgen waren eine schwere Gehirnerschütterung und drei Frakturen an der Wirbelsäule. Nach einer solchen Auferstehung tönt Silber in Tokio doch wie Gold!
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Die 32. Olympischen Sommerspiele finden vom 23. Juli bis 8. August 2021 in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Alle Infos zur Eröffnung, Übertragung, Wettkampfterminen, Disziplinen, Neuerungen, Austragungsstätten und Maskottchen erfahren Sie in der grossen Übersicht.
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