Schweizer Olympia-Pferd wird eingeschläfert
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«Jet Set» mit Bänderriss:Schweizer Olympia-Pferd wird eingeschläfert

Tragödie in Tokio
Deshalb musste Schweizer Olympia-Pferd sterben

Dominik Burger, Teamchef und Tierarzt der Schweizer Reit-Equipe, nimmt Stellung zum Tod von Wallach «Jet Set» in Tokio.
Publiziert: 02.08.2021 um 11:07 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2021 um 14:32 Uhr
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Das Schweizer Olympia-Pferd Jet Set ist tot.
Foto: imago images/Stefan Lafrentz
Sebastian Rieder aus Tokio

Dominik Burger, wie gross ist die Betroffenheit nach dem dramatischen Bänderriss und der Einschläferung von Jetset?
Wir sind alle sehr betroffen. Die Stimmung ist sehr gedämpft. Wir sind alle sehr traurig und demütig. Die grosse Anteilnahme und die Unterstützung aus der Schweiz hilft uns aber. Wir haben hunderte von Nachrichten bekommen, von Leuten, die wissen, wie schlimm so ein Vorfall ist. Wir erfahren hier vor Ort eine grosse Verbundenheit von vielen verschieden Ländern, auch von Leuten, die ich vorher nicht gekannt habe. Das ist sehr berührend. Jeder will etwas tun, aber wir sind alle machtlos.

Das sehen nicht alle so. Es gab viel Empörung über die sofortige Einschläferung.
Das Pferd wird nicht einfach getötet, weil man es nicht mehr brauchen kann, aber ich kann die teilweise emotionalen Reaktionen aus der Schweiz verstehen. Es ist auch für uns eine Katastrophe. Von Aussen ist es schwierig, zu verstehen, dass das Pferd eingeschläfert werden musste. Es am Leben zu erhalten, wäre jedoch viel schlimmer gewesen. In diesem Moment hat das Wohl des Tieres höchste Priorität und als Tierarzt musste ich entsprechend handeln. Ich bereue diesen Entscheid keine Sekunde.

Operieren war keine Option?
Man könnte schon, aber die Konstruktion der Gliedmassen eines Pferdes ist komplex. Einerseits hat es Muskeln und Sehnen, um die Bewegung zu ermöglichen. Andererseits hat es Bänder für die Aufrechterhaltung einer Statik, die macht, dass alles zusammengehalten wird und das Pferd sogar stehend schlafen kann. Ganz unten unterhalb des Fesselgelenks und oberhalb des Hufes hat es in der Tiefe auch drei solcher Bänder. Und diese sind beim Unfall gerissen – der Huf schwabbelte nur noch herum. Dies lässt sich nicht einfach so flicken. Weil das Pferd von Natur aus immer stehen will, können sich die Strukturen nie richtig erholen. Und bei einem Gewicht von 500 Kilogramm ist eine Heilung unmöglich. Das sind ganz andere Dimensionen wie beim Menschen.

Ein Mensch kann für längere Zeit im Bett liegen oder an Krücken gehen.
Beim Pferd ist das nicht möglich. Es ist ein Fluchttier, das sich viel bewegen möchte. Das ist natürlich schlecht für die Bänder. Ein normaler Knochenbruch wäre einfacher gewesen. Eine Fraktur kann man wie beim Menschen mit Schrauben fixieren und statisch richten. Die Heilungschancen sind da viel grösser, auch wenn das viel Zeit braucht.

Entscheidend ist also die Art der Rekonvaleszenz?
Man könnte theoretisch eine Prothese anbringen, aber das ist ethisch aus den vorherigen Gründen nicht zumutbar. Es hätte mit dem verletzten Bein nie richtig abstehen können und so eine Fehlbelastung auf dem anderen Vorderbein erzeugt. Für uns Tierärzte war schnell klar, das Jet Set ein hoffnungsloser Fall war. Ihn am Leben zu lassen, wäre nicht artgerecht und zu seinem Wohle gewesen.

Wie äussert sich der Schmerz bei einem Pferd?
Es heult nicht auf oder schreit wie ein Mensch. Es schwitzt sehr stark und will das Bein nicht mehr belasten. So eine schmerzhafte Verletzung ist total irritierend für das Pferd, weil es nicht versteht, das der Fuss nicht mehr funktioniert. Es ist auch psychisch hart. Jet Set wollte nach dem Unfall weiterlaufen, konnte aber nicht.

Wie war die medizinische Betreuung für das Pferd auf der Unfallstelle?
Da waren sofort mehrere Tierärzte und die Ambulanz vor Ort. Die Unfallstelle wurde mit Tüchern abgeschirmt, damit die Ärzte sich die Verletzung in Ruhe anschauen konnten. Die Erstversorgung erfolgte mit einer Schiene, damit nicht noch mehr kaputt geht und das Pferd in die Klinik transportiert werden konnte.

Wie artgerecht ist die Infrastruktur in Tokio?
Das ist nicht der Punkt. Wir haben hier direkt auf der Anlage eine topmoderne Klinik. Wir haben das Pferd nach dem Unfall umgehend dorthin transportiert. Und wir hätten bei einer optimistischen Prognose auch ins Universitätsspital fahren können. Japan ist ein hoch entwickeltes Pferdeland und Tokio enorm fortschrittlich – auch in der Chirurgie und Forschung.

Wie reagierte Reiter Robin Godel auf diesen Unfall?
Er blieb zum Glück unverletzt und kümmerte sich umgehend um das Pferd und hat es bis zur Einschläferung begleitet. Das ist ein sehr bewegender Moment, weil das Pferd zuerst in Narkose gelegt wird und erst später die Spritze kriegt, die den Herzschlag aussetzt. Robin war bis zum Tod dabei.

Für einen jungen Reiter wie Godel muss das brutal sein.
Es war sehr traurig und belastend. Aber es war wichtig für ihn, beim Abschied dabei zu sein. Er ist jetzt wieder beim Team. Wir helfen ihm, sich wieder aufzurichten und seine Mitte zu finden. Dafür haben wir einen therapeutischen Spezialisten von Swiss Olympic, der ihn nun zusätzlich betreut.

Wie oft kommt es im Pferdesport zu solchen Unfällen?
Sehr selten. So eine dramatische Bänderverletzung wie bei Jet Set habe ich in diesem Sport nie gesehen. In den letzten 30 Jahren habe ich einmal einen Herzstillstand bei einem Pferd erlebt.

Jet Set war mit 14 Jahren schon im fortgeschritten Alter?
Eigentlich voll auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit. Pferde werden bis zu 30 Jahre alt haben die Phase der vollen Schaffenskraft von 7 bis 16 Jahren.

Wie war Jetset vom Charakter her?
Er hatte wie zwei Seiten. Einerseits war er vom Typ her sehr ruhig und besonnen, aber sobald er den Stall verlassen hatte, drehte er auf und lief sehr leidenschaftlich. Er war ein richtiger Schaffer und wurde nie müde. Sein Ehrgeiz und die Hartnäckigkeit hat ihn ausgezeichnet, besonders schön war aber auch seine Anhänglichkeit, obwohl wir ihn noch nicht lange bei uns haben. Vor zwei Jahren kam er vom neuseeländischen Olympia-Reiter Andrew Nicholson, der mit ihm in England grosse Prüfungen gewonnen hatte.

Olympia in Japan war also eine neue grosse Herausforderung?
Er war auf seine stoische Art stolz darauf in Tokio zu sein. Er war ein Kämpfer und wollte hier zeigen, was er kann. Er war mit seinem ausgeprägten Bewegungsdrang eine Ausnahmeerscheinung.

Was passiert jetzt mit dem toten Pferd?
Schon vor der Einschläferung erfolgt als erstes eine Kontrolle, damit man Doping ausschliessen kann. Danach wird eine Autopsie und genaue Analyse durchgeführt. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, wird das tote Pferd eingeäschert.

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