Die olympische Goldmedaille von Tokio hat einen Durchmesser von 85 Millimetern. Sie ist 561 Gramm schwer, sechs Gramm davon sind tatsächlich Gold. Vor allem aber ist sie das Objekt der Begierde Hunderter Sportlerinnen und Sportler. Wer die Goldmedaille holt, wird zur Legende. Agnes Keleti hat zu Hause in Budapest fünf davon. Und wo bewahrt sie sie auf? Genau: In Schubladen, eingepackt in Plastiktüten. «Die Goldmedaillen haben mir nie viel bedeutet. Was die Leute immer nur mit dem Gold haben! Was haben sie davon?», fragt sie.
Diese Worte sagen viel aus über die ehemalige Weltklasse-Turnerin aus Ungarn. Im vergangenen Januar feierte Keleti ihren 100. Geburtstag – damit ist sie die älteste noch lebende Olympiasiegerin. Diese Tatsache bedeuten ihr nicht viel. «Man muss das Leben lieben und immer auf die guten Seiten schauen», sagte sie kürzlich in einem Interview mit Olympics.com. Es ist ihre Lebenseinstellung. Ohne sie wäre Keleti wohl nicht so weit im Leben gekommen.
Falsche Identität als Rettung
Blicken wir auf ihr bewegtes Leben zurück. Keleti erblickt am 9. Januar 1921 das Licht der Welt. Mit vier Jahren fängt die Tochter jüdischer Eltern mit dem Turnen an. Mit 16 ist sie erstmals ungarische Meisterin. Ihr grosses Ziel: Die Olympischen Spiele 1940 in Tokio. Diese fallen aber wegen des Zweiten Weltkriegs aus. Für Keleti kommt es kurz darauf aber weit schlimmer. 1941 muss sie ihr Turnteam verlassen, weil sie Jüdin ist.
Ihre Heimat Ungarn ist zu dieser Zeit von den Nazis besetzt. Keleti fürchtet um ihr Leben. Sie nimmt die falsche Identität eines christlichen Dienstmädchens an, flüchtet in ein kleines Dorf auf dem Land. «Ich arbeitete als Magd», erzählt sie. Während Keleti, ihre Mutter und Schwester den Krieg überleben, werden ihr Vater und andere Verwandte ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht und getötet – insgesamt lassen geschätzt 550’000 ungarische Juden im Holocaust ihr Leben.
Medaillenregen mit 35 Jahren
Keleti macht trotzdem – oder vielleicht genau deshalb – mit dem Turnsport weiter. Olympia 1948 verpasst sie wegen einer Verletzung, in Helsinki 1952 gibt sie dann endlich ihr Debüt auf der grössten Sportbühne, holt Silber mit der Mannschaft und Gold beim Bodenturnen. Mit 31 Jahren hätte Keleti guten Grund, um zurückzutreten – ihre Gegnerinnen sind im Schnitt 23. Aber eben, die Medaillen bedeuten ihr nicht viel. Es ist vielmehr die Freude am Sport, welche sie antreibt. Ihr Motto lautet bis heute: «Konzentriere dich nicht auf das Gewinnen, sondern mache aus Liebe.»
Und so turnt Keleti weiter. 1956 in Melbourne räumt sie dann ab, holt zweimal Silber und viermal Gold. Und das mit 35 Jahren und gegen scheinbar übermächtige Sowjet-Frauen. Was Keleti weiterhin nicht beeinflussen kann, sind die politischen Spannungen in ihrem Heimatland – die Sowjetunion marschiert ein. Darum bleibt Keleti nach ihrem Triumph in Australien, erhält dort Asyl. 1957 wandert sie schliesslich nach Israel aus, wo sie Trainerin der Turn-Nationalmannschaft und professionelle Cellistin wird.
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Bitte keinen Spagat mehr!
Vor fünf Jahren kehrte Keleti wieder in ihre Heimat Ungarn zurück, um bei ihrem Sohn Raphael zu sein. Bleibt die Frage: Was ist eigentlich ihr Geheimnis für ein so langes Leben? Gegenüber der Nachrichtenagentur AP erzählte sie kürzlich: «Die Gesundheit ist entscheidend. Es ist toll, dass ich immer noch fit bin. Ich liebe das Leben.»
Tatsächlich fühlt sich Keleti laut eigener Aussage nicht wie eine 100-Jährige, sondern so wie mit 60. Trotzdem riet ihr ein Arzt kürzlich: «Verzichte bitte künftig darauf, den Spagat zu machen!»
Die 32. Olympischen Sommerspiele finden vom 23. Juli bis 8. August 2021 in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Alle Infos zur Eröffnung, Übertragung, Wettkampfterminen, Disziplinen, Neuerungen, Austragungsstätten und Maskottchen erfahren Sie in der grossen Übersicht.
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