Die algerische Boxerin Imane Khelif erreicht ungeachtet der aufgeheizten Geschlechter-Debatte im olympischen Frauen-Boxen die Halbfinals und hat damit eine Medaille auf sicher. Die 25-Jährige setzt sich im Viertelfinal des Weltergewichts gegen die Ungarin Anna Luca Hamori trotz einer Verwarnung einstimmig nach Punkten durch.
Kurz nach dem Sieg äussert sich Khelif auch erstmals über die Diskussionen um sie und ihr Geschlecht. «Ich bin sehr stolz, hier in Paris eine Medaille für mein Land mitzubringen. Ich habe sehr hart gearbeitet, um hier zu sein. Das ist ein Sieg für alle Frauen», sagt die Algerierin unter Tränen beim arabischen TV-Sender BeIN-Sports. «Ich bin eine Frau», soll sie dem britischen «Telegraph» zufolge nach dem Interview noch gesagt haben.
Mehr zur Geschlechterdebatte
Noch immer weinend verschwindet Khelif danach in den Katakomben. Begleitet wird sie dabei von mehreren Ordnern und Betreuern, die noch in Richtung der Journalisten schimpfen.
Gegnerin provozierte vor dem Kampf
Anders als bei ihrem Auftaktsieg nach nur 46 Sekunden durch technischen K.o. gegen die Italienerin Angela Carini gibt es diesmal nach der Urteilsverkündung einen Handschlag mit der Gegnerin. Khelif wird zudem von zahlreichen algerischen Fans in der Boxhalle im Norden von Paris lautstark angefeuert und bejubelt. Sie schlägt nach Ende des Kampfs vor Freude mit voller Wucht auf den Ringboden, salutiert und kämpft anschliessend mit den Tränen.
Die unterlegene Hamori hatte sich vor dem Kampf, der von zahlreichen internationalen Medienvertretern begleitet wurde, provokant zur hochemotional geführten Diskussion geäussert: «Wenn sie oder er ein Mann ist, wäre es für mich ein noch grösserer Sieg, wenn ich gewinne.»
Bach verteidigt Startrecht
Um Khelif und Lin Yu-Ting aus Taiwan gibt es eine heftige Kontroverse um das Startrecht in Paris. Beide Boxerinnen waren an der WM im Vorjahr nach Tests, zu denen der vom Internationalen Olympischen Komitee nicht mehr anerkannte Weltverband IBA keine näheren Angaben macht, ausgeschlossen worden. Beide hätten laut IBA die erforderlichen Teilnahmekriterien nicht erfüllt und «im Vergleich zu anderen weiblichen Teilnehmern Wettbewerbsvorteile» gehabt.
Das IOC nannte es einen «willkürlichen Entscheid ohne ordnungsgemässes Verfahren» und lässt Lin und Khelif in Paris starten. Die 28-jährige Lin boxt in ihrem Viertelfinal am Sonntag (11.00 Uhr) in der Gewichtsklasse bis 57 kg gegen die Bulgarin Svetlana Staneva um eine Medaille. «Es gab nie Zweifel, dass sie Frauen sind», bekräftigte IOC-Präsident Thomas Bach am Samstag nochmal. Mit Blick auf die heftige Kritik vor allem aus dem rechtskonservativen Lager betonte Bach, das IOC werde sich «nicht an einem politisch motivierten Kulturkampf beteiligen».
Hass und Unterstützung
Beide Athletinnen wurden in sozialen Netzwerken angefeindet. «Das entsetzliche Ausmass an Online-Missbrauch» gegen die Boxerinnen sei «ein weiteres tief verstörendes Beispiel des toxischen, sexistischen und rassistischen Diskurses, der Frauen Schaden im Sport und in der Gesellschaft zugefügt hat», sagte Stephen Cockburn von Amnesty International in der Mitteilung der Sports & Rights Alliance. «Diese Frauen haben nichts falsch gemacht und werden trotzdem mit Hass gejagt.» Auch Vertreter weiterer Organisationen wie Human Rights Watch und ILGA World unterstützten die beiden Athletinnen.
Die IBA entschied, dass die gegen Khelif unterlegene Carini und ihr Team das vom Verband für jeden Olympiasieg ausgerufene Preisgeld in Höhe von 100'000 Dollar erhalten sollen. Die Italienerin stärkte jedoch der Algerierin inzwischen den Rücken: «Ich habe nichts gegen Khelif, wenn ich sie noch einmal treffen würde, würde ich sie umarmen.»